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Geraldine Brooks´ Historienroman »Die Hochzeitsgabe«

Mehr als nur ein historischer Roman

Rezension von Manuela Haselberger

Richtig klasse ist ein historischer Roman dann, wenn es gelingt, die trockenen geschichtlichen Ereignisse mit Leben zu füllen und daraus eine spannende Geschichte zu komponieren. Die Australierin Geraldine Brooks, geboren 1955 in Sydney, entfaltet in diesem Metier eine wahre Meisterschaft. Bereits ihr Debüt „Das Pesttuch“ war ein grandioser Erfolg bei den Lesern, und für ihren Roman „Auf freiem Feld“ wurde sie sogar mit dem renommierten Pulitzerpreis ausgezeichnet.

Ein wieder gefundener Schatz
Ihr Handwerk erlernte Brooks von der Pike auf als Journalistin. Im Jahre 1990 arbeitete sie für das „Wall Street Journal“ als Auslandskorrespondentin und reiste bei dieser Gelegenheit mehrmals während des Bosnienkriegs nach Sarajevo, um die Arbeit der UN-Soldaten zu begleiten. Bei einer dieser Reisen erregte ein kleines, unscheinbares Büchlein ihre Aufmerksamkeit, das vor dem Krieg im bosnischen Nationalmuseum aufbewahrt wurde.

Die Haggadah, eine jüdische Schrift, ist ungefähr sechshundert Jahre alt und stammte vermutlich aus Spanien. Es handelt sich um eine Art Hausbuch, das sich einst im Besitz jüdischer Familien befand, in welchem für die Kinder die Geschichte des Auszugs aus Ägypten erzählt wird. Lange galt das Buch während der Kriegswirren als verschollen. Viel später erst stellte sich heraus, dass muslimische Bosnier es vor der Zerstörung retteten. Besonders beeindruckt war Brooks, als sie Augenzeugin der komplizierten Restaurierung des Werkes wurde, die unter größten Sicherheitsvorkehrungen stattfand.

Die Rettung
Diese aufwühlenden Erlebnisse und tiefen Eindrücke, die Brooks in Sarajevo vor Ort erlebte, sind das Gerüst der „Hochzeitsgabe.“ Die Hauptfigur, Dr. Hanna Heath, ist Buchrestauratorin und hat die Aufgabe, die Haggadah wieder herzustellen, das heißt nicht, dass das Buch neu gebunden wird, sondern dass sein Papier mit großer Sorgfalt analysiert wird. Hierbei kommt es auf die kleinsten Pigmentierungen an, die Illustrationen und Farben müssen genau untersucht werden, damit die Restaurierung dem Original so ähnlich wie möglich wird.

Spannend wird Hannas Arbeit, wenn sie die Gebrauchsspuren oder auch Beschädigungen früherer Generationen betrachtet und sich Gedanken dazu macht, wie alt verblasste Flecken sind, die das Pergament beschmutzen. Wer könnte sie vor vielen Jahren verursacht haben und bei welchem Anlass? Sind es Weinflecken oder handelt es sich um Blutspuren? Mit neuer mikroskopischer Technik findet Hanna die Antwort auf diese drängenden Fragen, denn sie ist, wenn sie einmal die Arbeit aufgenommen hat, von ihrer Aufgabe total besessen.

Ein Buch als Zeitzeuge
Es lässt Hanna keine Ruhe, von wem das kurze graue Haar stammen könnte, das sie mühsam aus der Bindung des Buches löst. Ein geheimnisvoller Flügel eines Insekts, den sie ebenfalls entdeckt, ermöglicht Hanna den Weg zu bestimmen, den die Haggadah von Venedig aus genommen hat. Denn dass das Buch in Venedig war, das lässt sich aus einer verblassten Unterschrift sicher erkennen.

Während Hanna ihre mühsame Arbeit am Buch fortsetzt, nimmt Geraldine Brooks die Leser mit in unterschiedliche Episoden der Vergangenheit und lässt ihrer Fantasie freien Lauf. Sie erzählt beispielsweise von der dunkelhäutigen Malerin, die in Sevilla im Jahre 1490 die wunderschönen Bilder geschaffen hat, um einen kleinen Jungen zu erfreuen, der taubstumm war, und die sich selbst in einem Porträt festgehalten hat, das viele Jahre lang Kunsthistoriker beschäftigte. Es wurde vermutet, dass es sich um eine Sklavin handeln könnte. Niemand hat eine Frau als Schöpferin der Illustrationen in Erwägung gezogen.

Ein Lehrstück zum Thema Toleranz
„Die Hochzeitsgabe“ ist ein Buch, bei dem Bücherwürmer voll auf ihre Kosten kommen. Es geht nicht nur darum, dass sich Geraldine Brooks eingehend mit dem Faszinosum „Buch“ beschäftigt, sondern sie zeigt auch sehr überzeugend, dass es völlig unwichtig ist, welcher Religion man angehört, wenn es darum geht, eine jahrhundertealte Handschrift zu retten, um sie vor dem Vandalismus von Barbaren zu bewahren. Glücklicherweise waren sich bei der Rettung der Haggadah alle einig - unabhängig ob Christen, Juden oder Moslems. Ansonsten wäre diese Kostbarkeit heute nicht mehr im Museum in Sarajevo zu bewundern.

So ist „Die Hochzeitsgabe“ nicht nur ein herausragender historischer Roman, sondern auch ein Lehrstück an Toleranz, das dringend nötig ist, solange Kriege aus religiösen Gründen geführt werden.
Manuela Haselberger
(bookinist)
Geislingen, Juni 2008