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Matt Haig - Christoph Maria Herbst - Wie man die Zeit anhält - Lesung - Hörbuch - Hörverlag - Ich und die Menschen

Hörbuch-Sprecher im Interview: Christoph Maria Herbst

© der Hörverlag
Christoph Maria Herbst hat alle wichtigen Fernsehpreise gewonnen, darunter mehrfach mit seiner Rolle als Stromberg den Deutschen Comedypreis. In zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen (u. a. in Der WiXXer, Die Kleinen und die Bösen, Er ist wieder da) verkörperte er markante Haupt- und Nebenfiguren. Auch als Synchron- und Hörbuchsprecher (z. B. in Willkommen bei den Sch’tis, Der Vorname oder Timur Vermes‘ Bestseller Er ist wieder da) feierte er Erfolge. Für den Hörverlag hat er neben vielen anderen Titel auch Matt Haigs Ich und die Menschen gelesen.

Anlässlich seiner Lesung von Matt Haigs Roman Wie man die Zeit anhält haben wir Christoph Maria Herbst zum Interview getroffen:
Wie würden Sie Toms Veranlagung beschreiben? Als Dilemma oder auch: Lebensaufgabe?

Das ist schon Fluch und Segen, was Tom da hat. Ich glaube, es ist vor allem eine Lebensaufgabe – und zwar eine, die eigentlich für mehrere Leben reicht. Es ist auch Dilemma, das stimmt. Für ihn, und das ist sicherlich Kern der Geschichte, wird’s aber zunehmend zu einem Fluch. Wegen diesem Gendefekt, diese sogenannte „Anagerie“, wie Matt Haig sie nennt – eine Krankheit, die es nicht wirklich gibt, im Gegensatz zur Progerie –, möchte er sein Leben in dieser Art, nämlich über Jahrhunderte leben zu müssen, weil er einfach nicht stirbt, eigentlich beenden.
Mal angenommen, es wäre doch erstrebenswert, wie Tom ein Alba zu sein: Wann wären Sie geboren und bei welchen historischen Ereignissen wären Sie gern Augenzeuge gewesen?

In welchen Jahrhunderten hätte ich gerne Mäuschen gespielt? Jetzt könnte man natürlich sagen: Mensch, der Dreißigjährige Krieg hätte mich mal interessiert oder Luther mal zu erleben oder beim Bau der Pyramiden von Gizeh dabei zu sein – unfassbar spannend! Es sind blutrünstige, blutige Zeiten gewesen, die man unter Umständen nicht überlebt hätte. Auch mit dieser Veranlagung nicht, denn diese sogenannten „Albas“ sind ja nicht unsterblich, sie haben nur ein besseres Immunsystem, sind nicht so anfällig für Krankheiten, aber nicht unsterblich. Insofern ist diese Frage sehr schwer zu beantworten. Ich halte die Zeit, in die unsere Hauptfigur, der Tom Hazard, hineingeboren wurde, eigentlich für noch die attraktivst-denkbare. Er beginnt im späten Mittelalter und erlebt beispielsweise die dekadente Buntheit der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts in Europa, in Berlin, in Paris, und da wäre ich, glaube ich, schon ganz gerne dabei gewesen. Aber darum wissend, dass ich dann gerade einen Weltkrieg erlebt hätte und der nächste vor mir ist …? Mir würde dann, glaube ich, Hoffnung geben, dass ich die friedlichste Zeit, die Europa je erlebt hat, nämlich die Zeit, in der wir uns jetzt gerade befinden, noch erleben würde. Aber – und so viel Kulturpessimismus möge mir gestattet sein – ob ich jetzt zwingend noch die nächsten 300 Jahre gerne erleben würde, vermag ich nicht wirklich zu sagen.
Sie haben auch Matt Haigs Roman Ich und die Menschen für den Hörverlag eingelesen. Damals war es ein Außerirdischer, der im Körper eines Professors und Familienvaters auf die amerikanische Erde kam. Was sind das für Wesen? Warum sind sie da, was sollen sie uns sagen?

Matt Haigs Hauptfiguren in Ich und die Menschen oder Wie man die Zeit anhält sind erstmal abnormal. Vergleichbar bei beiden ist, dass das so merkwürdige Helikopter-Wesen sind, die auf den Menschen, also auf dich und auf mich, auf uns alle, von oben draufgucken. Das ist toll: Wir hören jemandem zu, der aus einer ganz eigenen Perspektive den Spot auf uns richtet, und wie unter einem Brennglas sehen wir uns krabbeln und lernen ganz, ganz viel über uns! Und was jetzt gerade sehr didaktisch klingt und aufgeblasen mit Moral und Botschaft, kommt aber wahnsinnig spannend und sehr unterhaltsam daher. Es ist abermals ein Pageturner, ich konnte beim Lesen nicht aufhören, wollte wissen: Wie geht es jetzt weiter? Das macht er schon sehr, sehr gut, der Matt Haig.
Gibt es sonst noch Parallelen?

Matt Haig schafft es wieder, mit ganz feinen Pinselstrichen Situationen zu beschreiben, Figuren zu erzählen, Bilder zu kreieren und saugt einen damit gleich rein. Bestimmte Figuren und bestimmte Situationen kommen immer wieder. Auch in Wie man die Zeit anhält ist Musik unfassbar wichtig – als Herzensöffner. Bei Ich und die Menschen war eine meiner Lieblingsstellen, wie unsere Hauptfigur zum ersten Mal quasi zufällig Debussys Claire de Lune hörte und auf einmal spürte, was es bedeutet, Gefühle haben zu können, haben zu dürfen, haben zu müssen. Großes Thema bei Matt Haig! Das ist das Zermürbende in Wie man die Zeit anhält, dass wir es mit einer Hauptfigur zu tun haben, die nicht lieben darf.
In seinem langen Leben trifft Tom auf bekannte Persönlichkeiten, zum Beispiel Shakespeare ...

Ja, das ist das Geniale an Wie man die Zeit anhält, dass Matt Haig Fiktion anreichert mit realen Figuren. Das frühe 16. Jahrhundert bis in die heutige Zeit blättert er auf wie ein Panoptikum und wir werden wirklich Zeugen, wie unsere Hauptfigur Shakespeare begegnet, Fitzgerald, wie er in Paris in ein Konzert geht und kein geringerer den Taktstock schwingt als Pjotr Iljitsch Tschaikowski. Ein Schlüsselmoment: Was bei Ich und die Menschen Debussy, ist hier Tschaikowski. Denn da spürt Tom Hazard auf einmal, dass er ja doch noch in der Lage ist, etwas zu empfinden – nachdem im Mittelalter seine Frau an der Pest gestorben ist und seine Mutter vor seinen Augen … Das sind beispielsweise zwei Punkte, warum ich diese Bücher so gerne lese und einlese, wo er mich mitten in meinem Leben abholt.
Wenn das der Fall ist, ist dann auch die Arbeit im Tonstudio einfacher?

Ich finde ja, denn eine Geschichte, die mich berührt, die mich eben nicht kalt lässt, kann ich mit einer ganz anderen Wärme erzählen. Und Stimme lügt nicht, das muss schon eine Wahrhaftigkeit haben. Das fällt mir bei den beiden Büchern von Matt Haig sehr leicht: wahrhaftig zu lesen.
Haben Sie eine Lieblingsstelle?

Lieblingsstellen ist immer so eine Sache ... Eigentlich ist das ganze Buch eine einzige Lieblingsstelle für mich! Es liest sich wirklich toll und auf jeder Seite gibt es irgendein neues Kuriosum, ein neues phantastisches Moment, bei dem man denkt: Wow, jetzt passiert auch das noch! Die gerade erwähnte Stelle mit Tschaikowski hat mich schon sehr berührt, einfach weil ich Tschaikowskis Musik sehr liebe. Und Matt Haig beschreibt die Musik in wenigen Worten, aber dann dennoch so eindringlich, dass ich geradezu das Gefühl hatte, ich höre sie. Das ist schon eine meiner Lieblingsstellen. Vielleicht auch noch die, wo Tom Hazard, unsere Hauptfigur, die Schnauze voll hat und einfach wissen will, was er hat, und zu Dr. Hutchinson geht und der ihn rausschmeißt. Dann gibt es einen Schnitt und er kommt 31 Jahre später wieder und der Arzt ist inzwischen 31 Jahre älter, Tom Hazard aber nicht, der ist vielleicht einen Monat älter, und steht dann wieder vor ihm und sagt: „Ich bin’s! Können Sie sich noch daran erinnern? Vor drei Jahrzehnten stand ich schon mal hier!“ Woraufhin dem Arzt auf einmal alles aus dem Gesicht fällt. Das ist einfach brillant geschrieben, und auch hier sehen wir uns wieder mit einer realen Figur konfrontiert.
Würden Sie das Buch weiterempfehlen?

Naja, also wer mir in diesem Interview bis jetzt gefolgt ist, der kann unmöglich erwarten, dass ich dieses Gespräch abbinde mit den Sätzen: „Bloß nicht Wie man die Zeit anhält von Matt Haig lesen oder als Hörbuch hören. Ich hab selten etwas Langweiligeres eingelesen.“ [Lacht.] Nein, im Gegenteil, ich hab’ große, große Freude daran! Es ist berührend, es ist auf eine angenehme Weise kitschig. Es ist sehr gefühlvoll, es hat wunderschöne Momente. Diesen Bogen, den er da spannt über die Jahrhunderte, das ist wirklich faszinierend. Letztlich ist es auch ein Zeitreisebuch: Wir bekommen einen Einblick in verschiedene Epochen, in verschiedene Jahrhunderte, aber er schafft es immer wieder, uns im Hier und Heute abzuholen und den Rückbezug zu uns herzustellen. Er lässt uns ganz tief in die Abgründe und in die Seelen der Menschen der damaligen Zeit gucken, aber das hat immer auch mit uns zu tun und, ja, ist leider auch eine der Botschaften dieses Buches: dass sich Menschen nicht wirklich ändern. Trotzdem sind wir die Zukunft. Also: Wir sollten was draus machen!
Indem wir die Zeit anhalten?

Tja. Wir Menschen, die diesen Gendefekt nicht haben, wünschten uns ja oftmals Momente einzufangen, mitzunehmen, einzutüten, in Glas abzufüllen, keine Ahnung. Das ist auch mit ein Grund, warum die Leute eigentlich nur noch auf ihre Smartphones gucken: Sie haben das Gefühl, sie müssen immer alles festhalten. Es geht, glaube ich, nur übers Bewusstsein und indem man sich selbst schult, noch achtsamer, noch bewusster mit sich und seinem Leben und seinem Umfeld zu sein. Je mehr Antennen man es schafft auszufahren, desto leichter fällt es einem dann auch, ganz mit sich in diesem Moment zu sein – das kann die Intensität exponentiell steigern, das glaube ich schon.

Wie man die Zeit anhält

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