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Rezension zu
Haarmann

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

"Haarmann" von Dirk Kurbjuweit

Von: Fraggle
11.03.2020

Fazit: Ich ja bekennender Fan von Kriminalromanen, die auf historischen Tatsachen beruhen, insofern war es nur folgerichtig, dass Kurbjuweits neuer Roman bei mir einzog und ich mich guten Mutes ans Werk machte. Und letztlich stellte sich „Haarmann“ als richtig gutes Buch heraus. Eines, bei dem man aber auch einiges kritisieren könnte, wenn man denn diese Kritikpunkte anders als ich gewichten würde. Denn ja, Dirk Kurbjuweit macht es seiner Leserschaft nicht immer einfach, beispielsweise im stilistischen Bereich. Gegen den Aufbau als solches lässt sich erst mal wenig einwenden: Im Wesentlichen werden die Ereignisse aus Sicht des ermittelnden Polizisten Lahnstein geschildert, immer zum Anfang bzw. zum Ende eines Kapitels werden jedoch auch kursiv gehaltene Abschnitte eingefügt, die aus Haarmanns Sicht bzw. aus der eines seiner „Puppenjungs“ geschrieben sind. Diese beiden bewegen sich im Laufe der Handlung stetig aufeinander zu, um sich schließlich zu begegnen. Da man Kurbjuweit auch sprachlich wenig vorwerfen kann, bleibt als einziger Kritikpunkt – was ich persönlich übrigens eben gar nicht so schlimm empfunden habe, aber es sei aus Gründen der Chronistenpflicht erwähnt – der, dass wörtliche Rede nicht mittels entsprechender Satzzeichen gekennzeichnet ist, man den Wechsel des jeweils Sprechenden nur daran erkennt, dass der Text an der entsprechenden Stelle leicht eingerückt ist. Das mag möglicherweise etwas zulasten der Übersicht gehen. Auch im Hinblick auf die Figuren gestaltet es der Autor für den Leser nicht immer einfach. So könnte man beispielsweise kritisieren, dass man abseits der aus Sicht des Mörders Haarmann geschriebenen Kapitel recht wenig über diese titelgebende Figur erfährt und dass der Fokus eher auf dem leitenden Ermittler liegt. Aber auch hier sehe ich persönlich das eher entspannt. Ich will weder wissen, was sich im Kopf Haarmanns abgespielt hat, noch glaube ich, dass das viel war oder dass das überhaupt jemand seriös beurteilen könnte. Darüber hinaus halte ich den Ermittler Lahnstein auch für eine gut gelungene Figur. Zwar ähnelt er insofern aktuellen, immer gleichen Ermittlertypen, als auch er traumatisiert und desillusioniert ist, hat aber, vor dem Hintergrund, dass er im Krieg war und darüber hinaus auch noch Frau und Sohn verloren hat, wenigstens einen guten und plausiblen Grund dafür, während heutige Ermittler ja meistens schlecht gelaunt, desillusioniert, alkoholkrank und/oder sozial dysfunktional sind, einfach, weil sie es eben sind. Inhaltlich baut Kurbjuweit seiner Leserschaft ebenfalls Hürden, wenn auch vergleichsweise kleine. So schildert er immer auch wieder die politischen Hintergründe zum Zeitpunkt der Handlung. Zwar denke ich, dass das niemanden überfordern sollte, der bei „Stresemann“ nicht nur an einen Anzug und bei „Kapp-Lüttwitz-Putsch“ fälschlicherweise an eine Bucht im heutigen Namibia denkt, aber wem entsprechender historischer Kontext fehlt, der könnte sich davon gelangweilt fühlen und den Fehler begehen, die historischen Hintergrundinformationen als unwichtig abzutun. Und das sind sie nicht. Denn Kurbjuweit beschäftigt sich in seinem Buch nicht nur mit einer simplen Mörderhatz, er beleuchtet eben auch die persönlichen Hintergründe Haarmanns sowie insbesondere die gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten, die möglicherweise Haarmanns jahrelanges Treiben wenn nicht ermöglicht, so aber zumindest begünstigt haben könnten. Insofern ist sein Roman eher Sittengemälde als Krimi. Auffallend ist hierbei, wie häufig man als Leser Parallelen zu heutigen Entwicklungen ziehen kann, ohen diesbezüglich jetzt ins Detail gehen zu wollen. So genau sich der Autor an die historischen bzw. politischen Fakten der damaligen Zeit hält, so sehr nimmt er sich im eigentlichen „Fall Haarmann“ aber auch seine Freiheiten. So hat es den Ermittler Lahnstein nie gegeben und anders als im Buch gab es, jedenfalls meines Wissens, auch keinen Aufschrei in der Bevölkerung als immer mehr Jungen und junge Männer verschwanden, mutmaßlich, weil man schlicht andere Dinge im Kopf hatte bzw. haben musste. All das tut einer wirklich guten Lektüre aber keinen Abbruch. Das liegt sicherlich auch daran – das sei einerseits abschließend und andererseits deswegen erwähnt, weil es mir wichtig ist -, dass „Haarmann“ erfreulich unblutig ist. Zwar erinnert ein einziges Kapitel ein wenig an „Schnell hat sie ihn bis auf die Knochen nach Waidmannssitte aufgebrochen.“ , aus Loriots Adventsgedicht, aber während der selige Jack Ketchum aus dem Stoff einen 320-seitigen Gewaltporno gemacht hätte, hält sich Kurbjuweit hier erfreulich zurück. Klare Leseempfehlung.

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