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Rezension zu
Die Spur des Schweigens

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Me too

Von: Maike P.
11.11.2020

In den letzten Jahren hat die me-too-Debatte immer weitere Kreise geschlagen, und dieses Thema greift auch Amelie Fried auf. Sie präsentiert uns ein fiktives, aber sehr renommiertes Forschungsinstitut in Deutschland, in dem viele Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler aus dem Ausland tätig sind und in dem die Abteilungsleiter und womöglich auch der Institutsdirektor ihre Macht missbrauchen. Viele chinesische Doktorandinnen kommen mit einem Stipendium an das Institut und sind darauf angewiesen, ihre Promotion innerhalb weniger Jahre erfolgreich abzuschließen. Andernfalls müssten sie das Stipendium nämlich zurückzahlen. Sie können es sich also nicht leisten, ihren Abteilungsleiter zu beschuldigen und womöglich ihre Stelle am Institut zu verlieren. Ganz langsam und allmählich eröffnen sich beim Lesen die Verstrickungen am Institut, aber immer steht die Frage im Raum: Sind die Frauen glaubwürdig? Sind sie tatsächlich Opfer sexueller Übergriffe geworden? Oder wollen sie sich für die Zurückweisung durch einen jungen attraktiven Abteilungsleiter rächen? Wie schmal der Grat zwischen diesen Positionen ist, stellt Amelie Fried sehr überzeugend dar, auch wenn sie durchaus klar Position bezieht, indem sie den beschuldigten Mann zwar zunächst als gutaussehend und sympathisch präsentiert, dann aber immer mehr seine Schattenseiten in den Vordergrund rückt. Am Rande erwähnt die Autorin Fälle sexueller Übergriffe an internationalen Forschungsinstituten, die es tatsächlich gegeben hat. Insofern ist der Roman keine reine Fiktion, sondern hat durchaus Bezug zur Realität – was die Handlung noch packender macht. Die Geschichte lässt einen beim Lesen nicht mehr los. Kaum ist man zusammen mit Julia Feldmann in die Recherche eingetaucht und hat die ersten Verdachtsmomente aufgedeckt, möchte man genau wie Julia herausfinden, was tatsächlich geschehen ist – und vor allem, wie Julias Bruder Robert in all dies verstrickt war. Die Geschichte ist unglaublich mitreißend, berührt und stimmt nachdenklich. Der Erfolg einer erfolglosen Journalistin Im Mittelpunkt der gesamten Handlung steht die freie Journalistin Julia. Sie wird dargestellt als talentierte, aber dennoch eher wenig erfolgreiche Journalistin, die weder den Partner fürs Leben noch eine Festanstellung gefunden hat. Sie hält sich mit Geschichten aus dem Gesundheitssektor mehr schlecht als recht über Wasser. Aber das ist nicht das einzige, das sie plagt: 12 Jahre zuvor ist ihr jüngerer Bruder Robert spurlos verschwunden. Alles sieht nach einem Unglücksfall aus, doch weder Julia noch ihre Mutter kann so recht daran glauben. Im Buch wird in Einschüben auch Roberts Geschichte erzählt. Er stand ewig im Schatten seiner größeren, erfolgreichen Schwester, die stets alles besser wusste. Aus Prüfungsangst hat er das Abitur nicht bestanden und war damit im Ansehen seines Vaters gesunken. Und der Traum vom Medizinstudium war damit auch ausgeträumt. Stattdessen fing er im Forschungsinstitut als einfacher Mitarbeiter an. Nach dem Verschwinden brach die Familie auseinander – der Vater verstarb, und nun erkrankt auch noch die Mutter an Alzheimer. Auch ihr Privatleben ist eher unglücklich: Julia leidet unter Schlafproblemen, trinkt zu viel Alkohol und ernährt sich ungesund. Und jeden liebenswürdigen Mann vergrault sie, bevor sich mehr entwickeln kann. Stattdessen geht sie mit ihren beiden besten Freundinnen zu einem Salsa-Kurs, in dem sie sich aber auch fehl am Platze fühlt. Und dann droht ihr auch noch der Wohnungsverlust, da der Besitzer ihr wegen Eigenbedarfs gekündigt hat. Aber als freie Journalistin ohne festes Einkommen hat sie bei den Wohnungsbesichtigungen praktisch keine Chance. Kurz: Julia mag zwar in der Schule erfolgreich gewesen sein, aber in der aktuellen Handlung des Buches steht sie praktisch am Abgrund. So steht sie zwar im Mittelpunkt des Buches, eignet sich aber nur bedingt als Identifikationsfigur – denn wer möchte sich schon in diese erfolglose Journalistin hineinversetzen, die ihre Begabung für Artikel über Abnehmpillen verschwendet und in ihrem Privatleben eigentlich nichts auf die Reihe kriegt? Offen gesagt waren mir all diese Baustellen aus Julias Leben zu viel des Guten. Es hätte durchaus gereicht, wenn Amelie Fried die Geschichte von Julias verschwundenem Bruder erzählt hätte, der ja in die eigentliche Handlung auch verstrickt ist. Aber alles andere war überflüssiges Beiwerk – der Salsa-Kurs, die Alzheimer-Erkrankung der Mutter, die Wohnungssuche, das Liebesunglück und die Liebeswirrungen ihrer Freundinnen, die ebenfalls diskutiert werden. Unter dem Strich Das Buch hat mich nach nur wenigen Kapiteln völlig in den Bann gezogen, sodass ich es innerhalb kürzester Zeit verschlungen habe. Amelie Fried greift die wichtige #metoo-Debatte auf und rollt sie mithilfe einer Investigativrecherche in einem renommierten Forschungsinstitut auf. Überzeugend stellt sie dabei den Machtmissbrauch dar, was einen nachdenklich stimmt! Einzig die vielen Nebenhandlungen, die vom eigentlichen Thema ablenken, trüben den Gesamteindruck ein wenig.

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