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Rezension zu
Winter in Bloomsbury

Weihnachtlicher Favorit mit Trigger-Themen

Von: Henrike | Buchstabensalat.net
18.12.2020

Nachdem ich diesen Klappentext gelesen hatte, bekam ich richtig Lust auf diese Weihnachtsromanze. Ich erwartete eine richtig schön kitschige Geschichte mit Kleinstadt-Charme voller Klischees. Durch das Setting der Buchhandlung rechnete ich mit Bücherliebe, die aus jeder Zeile quillt. Ich hatte die Hoffnung, dass die Klischees hoffentlich etwas einfallsreicher interpretiert werden als sonst in diesem Genre. Die Figuren: klischeehaft, aber charmant Winter in Bloomsbury spielt, wie Titel und Cover schon verraten, zur Weihnachtszeit in einem Stadtteil Londons. Im Fokus stehen die Betreiber:innen einer Buchhandlung, die sich auf Liebesromane spezialisiert hat, und eines Cafés, das daran angeschlossen ist. Dabei werden die Protagonisten und ihre Nebenfiguren zwar ziemlich generisch beschrieben, aber dabei sehr liebevoll gestaltet. So gibt es die hochschwangere Chefin der Buchhandlung, die gern alles kontrolliert und sich sehr schwer damit tut, die Zügel aus der Hand zu geben. Das führt natürlich ganz klischeehaft dazu, dass sie einen kleinen Zusammenbruch hat und ihr keine andere Wahl bleibt, als kürzer zu treten. Oder die Teenager, die gelegentlich aushelfen, werden selbstverständlich irgendwann in der sprichwörtlichen Besenkammer beim … sich näher kennen lernen ertappt. Es gibt da die unabhängige, selbstbestimmte Frau, die das Café neben der Buchhandlung führt und die den altmodisch gekleideten jungen Kollegen von nebenan nicht leiden kann, weil er unverschämt, aber enorm charmant ist. Und weil diese Abneigung auf Gegenseitigkeit beruht, müssen die beiden sich natürlich aus gewissen Gründen eine kleine Wohnung teilen und natürlich blüht im Lauf der Zeit eine gewisse Chemie auf und natürlich endet das alles wunderbar und happy. Das solltet ihr jetzt übrigens nicht als Spoiler betrachten; bei Büchern wie diesem ist von vornherein klar, wie sie enden. Bei all den Klischees schafft es die Autorin Annie Darling (Schicker Name übrigens, da ist die Karriere als Liebesromanautorin ja quasi vorprogrammiert!), die Figuren nicht bleich und formlos darzustellen, sondern ihnen Charme und Charakter zu geben. Es hat wirklich Spaß gemacht, die Entwicklung der Geschichte zu verfolgen. Blickwinkel aus der Buchhandels-Praxis Ich arbeite momentan selbst das zweite Mal während der Weihnachtszeit im stationären Buchhandel. „Stress“ und „Kundenwahnsinn“ sind noch harmlose Worte, die mir dazu einfallen. Jede:r hat Sonderwünsche, aber Verständnis für Verzögerungen oder Personalmangel ist kaum bis gar nicht vorhanden. Dazu kommen verlängerte Öffnungszeiten und spezielle Services, die nur in der Weihnachtszeit angeboten werden und schon als Standard gefordert werden, obwohl sie ein zusätzliches, freiwilliges Angebot des Geschäfts sind. Dankbarkeit gegenüber dem Personal? Fehlanzeige. Es wird gefordert, erwartet und gemeckert, wenn die Wünsche nicht erfüllt werden. Das alles hat die Autorin gut eingefangen und als i-Tüpfelchen noch eine Figur eingebaut, die jede:n in ihrem Umfeld mit ihrer Weihnachtsdeko und übersprudelnder Freude in den Wahnsinn zu treiben droht. Insgesamt hat mich Winter in Bloomsbury in eine richtige Weihnachtsstimmung versetzt. Der Countdown in den Kapitelüberschriften tat dazu sein übriges und ich habe das Buch in 2 Nächten komplett durchgelesen. Die ernsten Themen: Feminismus und psychischer Missbrauch Im Rahmen von all diesem romantischen Weihnachtskitsch und dem sehr realistischen Stress im Buchhandel zu dieser Jahreszeit werden zwei weitere Themen angeschnitten. Zum einen haben wir den Feminismus, der sich besonders in der Figur Tom äußert. „Äußert“ schreibe ich deshalb, weil er derjenige ist, der das Wort verwendet, während die Frauen in seinem Umfeld sich zwar auf bestimmte Weise verhalten, aber nicht den Finger in die Wunde legen. Wie feministisch es nun ist, einen cis männlichen Ally von Feminismus sprechen zu lassen und die Frauen der Reihe nach an den Mann zu bringen, möchte ich an dieser Stelle nicht beurteilen. Das bietet zusammen mit anderen Büchern genug Stoff für einen eigenen Artikel. Ich finde es schlicht gut, dass Feminismus in Winter in Bloomsbury thematisiert wird; dass Entscheidungen getroffen werden, die ich persönlich als feministisch bezeichnen würde, dass es aber auch Figuren gibt, die vollkommen anders handeln; dass die Menschen, die sich selbst als Feminist:innen bezeichnen, oft scheinbar gegen Wände reden, wenn sie mit anderen Menschen kommunizieren. Das spiegelt meine eigene aktuelle Lebensrealität ganz gut wieder. Ein weiteres Thema und für mich Kern dieser Geschichte ist psychischer Missbrauch in Partnerschaften, in diesem Fall Gaslighting. Betrachte ich den Raum, den die konkrete Auseinandersetzung mit diesem Thema in der Geschichte einnimmt, erscheint die Bedeutung für Winter in Bloomsbury gering. Doch die Protagonistin Mattie ist in ihrem kompletten Handeln, in ihrem Umgang mit anderen Menschen, in ihrer Verhaltensweise und ihrer persönlichen Grundeinstellung der Welt gegenüber stark geprägt von einer bestimmten Erfahrung in ihrer Vergangenheit. An dieser Stelle gilt eine Spoiler- und Triggerwarnung: wer die Details lesen möchte, kann den verborgenen Teil ausklappen. Ansonsten springt bitte einfach zum nächsten Absatz. (((verborgener Teil in der Originalrezension auf dem Blog))) Gaslighting bezeichnet in der Psychologie „eine Manipulationstechnik, bei welcher das Opfer gezielt desorientiert wird. Resultat ist die allmähliche Untergrabung, Deformation und Zerstörung des Selbstbewusstseins durch den Manipulierer. Er nutzt demnach ein Vertrauensverhältnis aus, um sich in eine Machtposition zu rücken und das zunehmend verunsicherte Opfer von sich abhängig zu machen. Je mehr es sich selbst misstraut, umso mehr wendet es sich unwillkürlich dem Täter zu und wird zu Wachs in dessen Händen. Gaslighting wird häufig von narzisstischen Persönlichkeiten ausgeübt und kann beim Opfer bis hin zum Realitätsverlust führen.“ (Quelle) Der Begriff stammt von dem Theaterstück „Gas Light“ von Patrick Hamilton aus dem Jahr 1938, in dem der Protagonist seiner Ehefrau genau das antut. In Matties konkretem Fall wird sie über einen längeren Zeitraum von ihrem (heute Ex-) Partner manipuliert: Er verlegt Dinge und behauptet, sie werde vergesslich; er stiehlt ihre Ideen und behauptet, es seien seine eigenen; er stellt Mattie öffentlich als hysterische Diebin dar und isoliert sie so von ihren Freunden; er wird sauer, wenn Mattie im Streit laut wird, sodass sie sich sofort entschuldigt und der eigentliche Grund des Streits in den Hintergrund rückt; und, und, und. Die Beziehung der beiden ist ein Paradebeispiel für Gaslighting. Mattie schafft es aus überwiegend eigener Kraft da heraus, aber die Folgen dieses psychischen Missbrauchs (geschlagen hat er sie nie) trägt sie seither mit sich herum: Sie ist skeptisch, wenn jemand freundlich zu ihr ist, zu vertrauen fällt ihr schwer. Sie nimmt immer zuerst das Schlechteste bei neuen Menschen an, insbesondere bei Männern. Sie kann es nicht richtig genießen, von Menschen umgeben zu sein und lässt emotional niemand neues an sie heran. Sie reagiert enorm allergisch darauf, wenn jemand Entscheidungen für sie trifft. Sie versucht schon fast zwanghaft, alle sie betreffenden Entscheidungen selbst und allein zu treffen, auch, wenn es nur um die Weihnachtsauswahl des Gebäcks in ihrem Café geht; sie lässt niemanden in diesen Bereich ihres Lebens hinein. Alles purer Selbstschutz und sehr verständlich. Während sie dann langsam aufzutauen beginnt und zögerlich Vertrauen zu den Menschen in ihrer Umgebung fasst, taucht besagter Ex vor ihrer Tür auf und zieht die gleiche Masche ab wie früher: Manipulation, Missachtung von deutlich abgesteckten Grenzen, Verleumdung und Erpressung. Mattie hätte es auch allein geschafft, mit der Situation fertig zu werden, doch dass sie in diesem Moment Unterstützung von Tom erfährt, schweißt die beiden mehr zusammen und ermöglicht eine Kommunikation zwischen Mattie und Tom auf Basis von Vertrauen und Offenheit. Es wird aber nicht einfach ein Schalter umgelegt und alles, allem voran Mattie, ist plötzlich rosaglitzerfröhlich. Stattdessen erscheint die Veränderung sehr natürlich und fließend. Für mich persönlich macht Matties vergangene missbräuchliche Beziehung einen so wichtigen Teil der Geschichte aus, weil diese Erfahrung sie nachhaltig geprägt hat und sie selbst viele Jahre später noch die Folgen zu tragen hat. Sie wächst über sich selbst hinaus und erstarkt dadurch, aber es ist eine sehr tief sitzende Verletzung, die nicht mal eben so heilt. Ich hätte mir gewünscht, dass es a) eine Triggerwarnung zu diesem Thema am Anfang des Buches oder beim Klappentext gegeben hätte, um Leser:innen eventuelle Flashbacks zu ersparen, und dass b) die direkte Auseinandersetzung mit Gaslighting und psychischem Missbrauch allgemein mehr Raum in der Geschichte eingenommen hätte. Sehr gut hat mir dagegen gefallen, dass in der Szene, in der sich Mattie mit Tom als Unterstützung gegen ihren Ex-Freund wehrt und ihn schließlich loswird, explizit von Gaslighting gesprochen wird. Dass erklärt wird, woher der Begriff stammt, was es ist, wie es funktioniert. Wie sehr und wie lange man darunter leiden kann und wie schwerwiegend diese unsichtbare Gewaltausübung ist. Ich finde es auch toll, dass der wholesome Rahmen dieser Weihnachtsromanze voller Kitsch dazu genutzt wurde, ein so schwerwiegendes Thema zu behandeln. Die Einbettung in das freundliche, warme Szenario untergräbt die Ernsthaftigkeit nicht, sondern bildet einen Kontrast und unterstützt sie dadurch viel eher. Es wirkt auch überhaupt nicht fehl am Platz. Warum auch? Schließlich scheren sich solche Probleme nicht darum, ob Ostern, Geburtstage oder Weihnachten vor der Tür stehen. Das macht es realistisch und das ist einer der Gründe, warum ich Winter in Bloomsbury so gern gelesen habe und warum es für dieses Jahr auch ganz weit oben auf der Liste meiner Favoriten steht. Das alles schreibe ich als nicht betroffene Person. Die einzigen Berührungspunkte, die ich persönlich mit Gaslighting hatte, fanden innerhalb der Beziehungen von Personen in meinem direkten Umfeld statt. Ich bin froh darüber, nicht aus eigener Erfahrung berichten zu müssen. Sollte mir aber aus diesem Grund ein Interpretations- oder Einschätzungsfehler unterlaufen sein, bitte ich um Entschuldigung und Aufklärung. (((ENDE Verborgener Teil))) Schlecht kommuniziert: Folge- statt Einzelband Weniger gut hat mir gefallen, dass ich erst, nachdem ich Winter in Bloomsbury durchgelesen hatte, am Ende des Buches eine Übersicht mehrerer weiterer Bücher der Autorin mit ähnlichen Titeln entdeckt habe: Sommer in Bloomsbury zum Beispiel, oder Verliebt in Bloomsbury. Eine kleine Recherche später wusste ich, dass es sich hierbei um den vierten Band einer Reihe handelt. Das war weder dem Klappentext noch dem Cover zu entnehmen. Es hat, wie ich oben im Hinweis schon erwähnte, meinen Lesefluss nicht gestört. Ganz im Gegenteil, ich konnte der Geschichte super folgen, weil immer wieder kleine Erklär-Abschnitte eingefügt waren, die Hintergründe und Personen beschrieben. Ich bin ja auch tatsächlich davon ausgegangen, dass es sich um einen Einzelband, ein Stand-Alone handelt. Trotzdem hätte ich es gut gefunden, eine kleine Notiz mit „Band 4“ oder so auf den Klappentext zu setzen, wie es oft bei Reihen der Fall ist. Denn ich bin mir ziemlich sicher, mich mit dem Lesen dieses Bandes für die Bände eins bis drei gespoilert zu haben. Wahrscheinlich werde ich sie trotzdem irgendwann lesen. Aber die Überraschung (wer mit wem und wann und warum) ist nun für mich dahin. Positiv weckt weihnachtliche Stimmung beim Lesen Weihnachtsstress im stationären Buchhandel gut eingefangen liebevoll gestaltete Protagonisten feministischer Touch gründliche Erklärung und Beschreibung von Gaslighting (Form psychischen Missbrauchs) und Folgen Negativ sehr vorhersehbare Entwicklung ein bisschen zu klischeehaft, mehr Individualität wäre toll gewesen von außen nicht deutlich genug als Band 4 markiert Fazit Insgesamt gehört Winter in Bloomsbury zu meinen Favoriten für 2020: charmant, liebevoll und, wo nötig, ernsthaft und glaubwürdig beschreibt Annie Darling den Weihnachtstrubel in der kleinen Buchhandlung mit Café und die zarte Liebesgeschichte von Mattie und Tom. Ich werde dieses Buch definitiv noch ein paar mal lesen!

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