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Rezension zu
Vladimir

Ein vielschichtiger Campusroman mit einer eigenwilligen Protagonistin

Von: buchlesenliebe
06.04.2022

Der Auftakt: die 58-jährige, namenlose und emanzipierte Protagonistin steht an einem Wendepunkt in ihrem Leben. Seit fast 30 Jahren arbeitet sie als Literaturprofessorin an einem kleinen College an der amerikanischen Ostküste. Ihr Ehemann John, mit dem sie eine offene und sexuell freizügige Beziehung führt, ist bis auf weiteres vom Dienst suspendiert worden und wartet auf sein Gerichtsverfahren. Die Anklage: sexuelles Fehlverhalten gegenüber sehr viel jüngeren Studentinnen. Seitens College-Leitung und einigen Vertreterinnen der weiblichen Studierendenschaft werden Forderungen nach Beurlaubung laut und Tochter Sidney plädiert ebenfalls vehement für eine endgültige Trennung von John. In dieser angespannten Atmosphäre betritt der Auserkorene Vladimir Vladinski die literarische Plot-Bühne: Sohn russischer Einwanderer, Vater einer kleinen Tochter, experimenteller Romanautor und neuerdings Juniorprofessor am besagten College. Er wird zum menschlichen Objekt der sexuellen Begierde der Protagonistin, und gleichsam ihre beste Projektionsfläche. Ein gemeinsamer Ausflug in eine abgelegene Hütte, in der die Literaturprofessorin den jüngeren Kollegen verführen will, endet schließlich mit desaströsen Folgen - für alle Beteiligte. Nun, wo fange ich an?! Ich habe ja ein großes Herz für unangepasste Figuren, die nicht der Norm entsprechen, etwas schräg und provokativ sind. Für Romane, die zahlreiche sprachliche Spitzen enthalten, subtile Gesellschaftskritik üben und zum Perspektivenwechsel anregen. Für Romane, die erobert werden und nicht auf Anhieb gefallen wollen. Es ist demnach vielleicht auch nicht verwunderlich, dass mich der Debütroman von Julia May Jonas in der außergewöhnlichen Figurenzeichnung stark an jene Charaktere in den bislang von mir gelesenen Büchern von Ottessa Moshfegh erinnert - eine Autorin, die sicherlich spaltet, ich aber persönlich großartig finde. Und somit hat „Vladimir“ mich einerseits ziemlich abgeholt, weil in dieser Hinsicht all jene Aspekte erfüllt werden, die mein Leseherz höher schlagen lassen. Bis es zum erhöhten Pulsschlag kam, hat es allerdings leider etwas gedauert. Die erste Hälfte des Romans ist aus meiner Sicht dominiert von einer teils unerträglichen Ich-Bezogenheit der Protagonistin sowie einer absoluten Fokussierung auf Äußerlichkeiten und körperliche Merkmale. Dies mag ein wichtiges erzählerisches Motiv der Selbstreflexion und ein Abbild der inneren Zerrissenheit sein, führte bei mir aber fast zum vorzeitigen Abbruch. Weil man damit bei mir alles triggert, was man in diesem Kontext nur triggern kann. Gut gefallen hat mir wiederum, dass „Vladimir“ nicht nur zentrale Themen wie u.a. Machtmissbrauch, Fragen zu Moral und Schuld, Sexualität, Gender(politik), weiblicher Selbstermächtigung und (non-soziokonformen) Beziehungskonstrukten in den Fokus nimmt, sondern sich der Roman auch als eine pure Hommage an das Schreiben sowie die Literatur im Allgemeinen liest. Meinerseits: eine Leseempfehlung, aber mit kleineren Einschränkungen. Übersetzt von Eva Bonné.

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