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Rezension zu
Vom Frühling und von der Einsamkeit

Gerichtsreportagen

Von: Frau Lehmann liest
21.02.2023

Gabriele Tergit ist eine der großen Wiederentdeckungen der letzten Jahre. Bisher habe ich mit viel Freude ihre Lebenserinnerungen gelesen (wobei die nun wirklich wenig Grund zu Freude geben) und den Käsebier. Demnächst werden sicherlich auch die Effingers bei mir einziehen. Bekannt geworden ist sie in jungen Jahren allerdings nicht mit Romanen, sondern mit Gerichtsreportagen. Und das völlig zu Recht, denn jede davon ist eine Inszenierung, eine Erzählung für sich. Ob es nun um den leidigen Paragraphen 218a geht (da hat sich bis vor kurzem so wenig getan, dass die Reportagen mit diesem Thema auch letztes Jahr hätten geschrieben worden sein können), um Kleinstdiebstähle, um Schlägereien, Heiratsschwindel, immer findet die Tergit die richtigen Worte, um den Sachverhalt darzustellen, ihre eigene Meinung schwingt zwischen den Zeilen mit. Gegen den erstarkenden Nationalsozialismus schreibt sie an, benennt Täter, kritisiert Gesinnungsurteile, wundert sich, fragt nach, ordnet ein. 1933 muss sie dann fliehen. Erst 1949 schreibt sie noch einmal über einen Prozess: über das zu milde Urteil für den "Jud Süß"-Regisseur Veit Harlan. Ihre Gerichtsreportagen sind ein Spiegelbild der deutschen Gesellschaft von 1924 - 1933. Sind es zuerst häufig Armutsverbrechen, Diebstähle aus Hunger, kommen immer mehr politische Auseinandersetzungen vor Gericht, Übergriffe nationalsozialistischer Verbände, Kneipenschlägereien mit Toten. Die Texte sind kaum gealtert, wirken auch heute noch frisch und viele Themen sind weiterhin oder wieder aktuell.

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