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Rezension zu
Der Morgenstern

"Der Morgenstern" von Karl Ove Knausgård

Von: Fraggle
07.03.2024

Noch an Karl Ove Knausgårds „Aus der Welt“ bin ich – zumindest vorerst – krachend gescheitert, was in erster Linie in der extrem trostlosen und kalten Atmosphäre des Romans, der in einer mindestens ebenso trostlosen Phase des Rezensenten gelesen wurde, begründet liegt. Dass ich den Auftakt zur aktuellen Romanreihe des Norweger trotzdem angegangen bin, liegt in erster Linie an meiner Affinität zu Thea Dorn. Aus unerfindlichen Gründen würde ich ihr auch dann gebannt zuhören, wenn sie ein sechsstündiges Spontanreferat über Gemüseanbau in Nepal auf serbokroatisch mit Simultanübersetzung in Hindi halten würde. Und nachdem Frau Dorn vor geraumer Zeit im Fernsehen Knausgårds Roman als „auf spektakuläre Weise gelungen“ einordnete, war es dementsprechend nur folgerichtig, zu untersuchen, ob ich dessen Schreibe nicht doch gewachsen wäre. Und letztlich kann man das als wirklich klugen Entschluss einordnen, denn „Der Morgenstern“ ist nichts anderes als ein Lesehighlight. Was der norwegischen Autor hier abgeliefert hat, ist mindestens großartig. Dabei ist die äußere Form des Buches unter Umständen gewöhnungsbedürftig. Anstatt sich auf eine stringente Handlung mit einem einzelnen Protagonisten zu beschränken, schreibt Knausgård quasi neun kleine Romane in einem, indem er das Leben von neun verschiedenen Figuren über wenige Tage während des norwegischen Sommers schildert. Die Verbindung der Figuren untereinander ist dabei mal näher, mal recht lose und mal auch gar nicht vorhanden. Als verbindendes Element dient in erster Linie der urplötzlich am norwegischen Himmel neu auftauchende, strahlend helle Stern. Während Michael Bay oder Roland Emmerich spätestens mit ein Eintreffen dieses Sterns einen ohrenbetäubenden Action-Kracher aus der Geschichte gemacht hätten, bleibt Knausgård ganz bodenständig und ganz nah bei seinen Figuren. Und eben diese sind auch einer der Gründe, warum die gewählte Form so gut funktioniert. Sei es der in die Kulturredaktion strafversetzte und deshalb in Selbstmitleid versinkende, ewig saufende Journalist Jostein, sei es die Pastorin Kathrine, die von jetzt auf gleich feststellt, sich in ihrer Ehe vollkommen unwohl zu fühlen und beim Gedanken an die Rückkehr nach Hause in gänzlich fremde Verhaltensmuster abdriftet – ihnen allen ist gemein, dass sie ihr gewisses Päckchen zu tragen haben und vor allem, dass sie zutiefst menschlich und lebensecht wirken. Dazu gelingt es Knausgård – und diesbezüglich weiche ich frecherweise einen Hauch von Frau Dorns geschätzter Meinung ab -, alle seine Figuren mit einer individuellen, charakteristischen Erzähl- und Sprechweise auszustatten. Mögen die Unterschiede zwischen den Erzählstimmen manchmal nur in Nuancen liegen, so sind sie eben doch da, was vor dem Hintergrund der nicht gerade wenigen Hauptfiguren eine aus meiner Sicht bemerkenswerte Leistung darstellt. Nicht nur in diesem Zusammenhang ist „Der Morgenstern“ stilistisch großes Kino, auch insgesamt merkt man, dass der Norweger in sprachlicher Hinsicht ein überdurchschnittlich guter Erzähler ist. Der mittlerweile auch unter die Autoren gegangene Christian Berkel sprach in diesem Zusammenhang sinngemäß davon, dass am Beginn von Knausgårds Romanen beispielsweise Figuren aus dem Bett aufstehen, 50 Seiten später am Gartentor angekommen sind und in der Zwischenzeit eigentlich nichts passiert ist, diese 50 Seiten dann aber dennoch zum Besten gehören, was man seit langer Zeit gelesen hat. Diesen Eindruck bekam ich bereits bei der Lektüre von „Aus der Welt“ und er hat sich durch „Der Morgenstern“ durchaus verfestigt. Ja, Knausgård neigt zwischenzeitlich zur Weitschweifigkeit, tut das aber auf sprachlich so schöne Art – dem Übersetzer Paul Berf gebührt hier großes Lob -, dass das der Lesefreude überhaupt keinen Abbruch tut. Darüber hinaus bleibt Knausgård auch gar nichts anderes übrig, als gelegentlich abzuschweifen, denn wenn man von der reinen Handlungsebene absieht, stehen in erster Linie die Themen Tod und Klimawandel im Vordergrund. Und so lässt er seine Charaktere Arne und Egil schon mal ausschweifend über Tod und Religion philosophieren, fügt als eigenständigen Abschnitt des Buches sogar ein fiktives Essay von Egil mit dem Titel „Über den Tod und die Toten“ ein. Der Klimawandel begegnet einem in Knausgårds Roman ebenfalls an allen Ecken und Enden. Mal plakativ in Form der übermäßig hohen sommerlichen Temperaturen im norwegischen Sommer, mal etwas weniger plakativ in Form des seltsamen Verhaltens verschiedener Tiere – hier erinnert „Der Morgenstern“ irgendwie an Frank Schätzings „Der Schwarm“ – und letztlich eben subtil auch in Form des am Himmel auftauchenden Sterns. In der Reaktion der handelnden Figuren auf diesen Stern liegt für mich eine weitere Faszination der Buches. Die oben erwähnten Herren Bay und Emmerich hätten ihre Protagonisten an diesem Punkt panisch vor irgendeinem diffusen Bedrohungsszenario fliehen lassen, Knausgårds Figuren nehmen den Stern mehrheitlich zwar zur Kenntnis – und das durchaus auch mit Befremden – letztlich dann aber doch eben irgendwie nur hin – mutmaßlich, weil sie eben gerade mit eigenen, ganz persönlichen und subjektiv auch wichtigeren Dingen beschäftigt sind. So einen richtigen Reim können sich die Charaktere auf das Erscheinen des Sterns nicht machen, aber solange er jetzt nicht unbedingt stört, ist er halt da. Ganz ähnlich reagieren in meiner Wahrnehmung heute noch zahlreiche Menschen, wenn sie mit dem Thema Klimawandel konfrontiert werden, der als etwas Diffuses wahrgenommen wird, gegen das der Einzelne ja sowieso nichts machen kann, und solange es im Winter noch schneit … Gegen Ende des Romans stellt man dann einerseits fest, dass bei weitem nicht alle einzelnen Handlungsstränge auserzählt sind und ergoogelt sich überdies die Information, dass „Der Morgenstern“ nur der Auftakt eines neuen mehrbändigen Knausgård-Epos sein ist. Auch den zweiten Teil habe ich mittlerweile gelesen, und stürze ich mich nun vielleicht erst mal zeitnah wieder auf „Aus der Welt“, bis der dritte Teil der Reihe erschienen ist. Ich freu mich drauf!

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