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Rezension zu
Neuntöter

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Ein Thriller mit vielen eigenen Qualitäten!

Von: WortGestalt-BuchBlog
10.05.2016

Ein Gebäude, wo keines ist. Nur eine bedruckte Plane mit einer täuschend echt wirkenden Hausfassade, befestigt an einem mehrere Stockwerke hohen Gittergerüst. Mehr nicht, nichts dahinter. Eine Stadt tarnt und versteckt sich, kaschiert hässliche Brachflächen mit einer gedruckten Illusion von Konsum und Behaglichkeit. Willkommen in Berlin. Willkommen am Potsdamer Platz. Und hinter dieser künstlichen Fassade mitten in der Stadt hängen sie wie Raupen in ihren Puppen. Drei Leichen, eingewickelt in Panzertape und befestigt hoch oben in den Stahlstreben. Niemand kann sie sehen, obwohl sie sich an einem der belebtesten Plätze im Zentrum Berlins befinden. Menschen eilen tagtäglich an ihnen vorbei, ohne ihre Anwesenheit auch nur zu erahnen. Symptomatisch für das soziale Miteinander in einer Großstadt ist der Leichenfundort zum Auftakt des Thrillers „Neuntöter“. Und auch seine Protagonistin ist ein Produkt ihrer Umwelt. Emma Carow, Fallanalytikerin beim LKA, hat noch Jahre nach ihrer Vergewaltigung mit den Folgen zu kämpfen. Ablenkung findet sie in ihrer Arbeit, sie ist eine der gewissenhaftesten Ermittlerinnen in der Abteilung der Operativen Fallanalyse beim LKA Berlin. Mit ihrem Team hilft sie den Kommissaren, Muster und Motive bei Straftaten zu erkennen, durchleuchtet den Charakter eines Verbrechens. Das fällt ihr um so vieles leichter als bei dem Charakter eines Menschen. Dort hat sie die Fähigkeit verloren, einzuschätzen, wem sie trauen kann, wen sie auf Abstand halten muss oder wer ihr nur helfen will. Also Schutzpanzer anlegen und mit dem Kopf durch die Wand, das ist Emma Carow. Und ich mochte sie, die Figurenzeichnung dieser wütenden, starrsinnigen und emotional irrational wirkenden Emma Carow. Wenn man sich aber die verschiedenen Leserstimmen anschaut, wird schnell deutlich, dieser Thriller steht und fällt mit seiner Protagonistin. Denn ein einfacher Charakter ist sie nicht, viele Kommentare zu dieser Figur reihen sich irgendwo zwischen anstrengend und nervtötend ein. Mit Emma Carow wird nicht jeder Leser warm werden. Sie ist schwierig, störrisch und agiert auf eine Art, mit der einige nichts anzufangen werden wissen. Doch gerade das machte sie für mich zu einer so interessanten Figur, brachte sie mir nah. Sie ist eine Querkämpferin, kämpft mit sich, mit ihrem Trauma, mit ihrem Leben und mit den Menschen um sich herum ihren eigenen Kampf. Einen Kampf, den die Autoren in meinen Augen ganz hervorragend nachgezeichnet haben, der mir sehr real, sehr möglich vorkam, in all seinen Facetten und seiner Intensität. Während der Ermittlungen im Fall der drei verpackten Leichen vom Potsdamer Platz (Achtung, beim Auspacken selbiger wird es kurz eklig, ansonsten ist der Thriller aber weniger auf blutige, sondern auf atmosphärische Spannung gebaut!) verprellt Emma Carow mit ihrer Art immer wieder Kollegen und Freunde, selbst mit ihrem langjährigen Fürsprecher und Mentor Kommissar Lutz Bogner gerät sie mehrfach aneinander. Denn neben dem Mordfall spielt in „Neuntöter“ eine zweite Komponente eine große Rolle: Die Freilassung von Emma Carows Vergewaltiger Uwe Marquardt. Nachdem er seine Haftstrafe abgesessen hat, steht er nun mit einem Buch über seine angebliche Läuterung im Fokus der Öffentlichkeit. Eine Entwicklung, die der Fallanalytikerin die Kontrolle über ihre Situation entreißt. Und trotz der großen Rolle, die Emma Carow in diesem Thriller spielt, wirkt das Verhältnis zum Mordfall nicht unausgewogen, beides fügt sich sehr gut abgestimmt ineinander, macht die Handlung dadurch komplexer, verleiht ihr mehrere Spots. So entsteht in „Neuntöter“ auf dem Grundgerüst eines klassischen Thrillers eine mit vielen positiven Eigenheiten aufgebaute Story. Denn neben der Hauptfigur sind auch der Schreibstil und das Erscheinungsbild Berlins zwei Dinge, die mir ausgesprochen gut gefallen haben. Das Berlin, das die Autoren in „Neuntöter“ beschreiben, ist sehr treffend eingefangen, sehr echt und authentisch und die Schauplätze haben eine schöne Atmosphäre, etwas von Großstadtmelancholie. Und der Schreibstil passt dazu wie maßgeschneidert, gibt dem Buch einen eigenen Ton und eine eigene Stimmung, einzelne kurze Sätze erzeugen etwas szenisches, nicht völlig unkonventionell, aber doch so, dass es auffällt, angenehm auffällt. Und so ist mir dieser Thriller an fast allen Ecken und Enden unglaublich angenehm aufgefallen. Die einzige Kleinigkeit, über die ich gestolpert bin, ist eine Entwicklung gegen Ende des Romans, die die Handlung in allzu typische Genre-Muster verfallen lässt, aber selbst das inszenieren die Autoren noch spannend und ideenreich, sodass insgesamt bei mir der Eindruck überwiegt, einen Thriller gelesen zu haben, der mit vielen eigenen Qualitäten aufwarten kann. Abschließend sei noch erwähnt, dass hinter Ule Hansen das Autoren- und Lebenspaar Astrid Ule und Eric T. Hansen steht, beide sind seit vielen Jahren mit dem Schreiben in verschiedenen Formen vertraut und haben mit „Neuntöter“ ihren ersten, gemeinsamen Thriller veröffentlicht. Auf YouTube finden Interessierte eine spannende Interview-Reihe, die viele Hintergrundinformationen zu ihrer gemeinsamen Arbeit am „Neuntöter“ bereit hält. Ein Blick lohnt! Fazit: Den ersten Thriller des Autorenduos Ule Hansen empfinde ich als eine sehr stimmig gelungene Komposition. Mich hat das Feingefühl der Autoren für ihre Figur Emma Carow ebenso überzeugt wie Ton und Stimmung dieser Geschichte. Ein Debüt, das unbedingt Folgen haben sollte! Bewertung: 4,11 Punkte = 4 Sterne Stil: 4/5 | Idee: 4/5 | Umsetzung: 4/5 | Figuren: 5/5 | Plot-Entwicklung: 4/5 Tempo: 4/5 | Tiefe: 4/5 | Komplexität: 4/5 | Lesespaß: 4/5 | = 4,11 Punkte

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