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Rezension zu
Die geliehene Schuld

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Dringlicher Roman über die Verflechtungen in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg

Von: Michael Lehmann-Pape
26.03.2018

Nicht nur, weil ein ungeklärter Todesfall den Anfang des Romans mitbestimmt, auch was den Spannungsbogen angeht, hat dieser neue Roman von Claire Winter deutliche Tendenzen in den Kriminal- und Thriller-Bereich. Was bereits der Prolog in den Raum setzt. Dieses konspirative Treffen unbekannter Männer, 1945 irgendwo im Allgäu. Das wirkt geheim und geheimdienstliche Verbindungen werden sich Stück für Stück im journalistischen Recherchegeschehen, das den roten Erzählfaden des Romans in Person der Journalistin Vera Lessing, trägt. „Das er trotz allem immer an Gerechtigkeit geglaubt hatte, erschien ihm jetzt wie blanker Hohn. Wenn alles stimmte……die Öffentlichkeit musste davon erfahren“. So denkt der Journalist Jonathan, als er brisantes Material zu Gesicht bekommt. Mehr als einen Brief an seine Freundin Vera mit Andeutungen und Hinweisen aber wird es nicht geben. Dieser Brief aber ist bei der Richtigen gelandet, denn zäh wird sich Vera an all das hängen und keine Ruhe geben, so drängend die persönliche Gefahr für sie selbst auch mit jedem Schritt werden wir. Ein stückweit düster, vor allem aber mit klaren Schritten und durchgehend angenehmem Tempo erzählt dabei Claire Winter von Vera und anderen Protagonisten, die an der Schnittstelle einer zerstörten Welt und einer Welt im Aufbau mehr und mehr, sei es durch „den Fall“, sei es durch die eigene Familie, sei es durch das Erleben einer Betroffenen, die „Verbindungen der Schuld“ zwischen beiden Systemen, dem dritten Reich und der neuen Republik, erfahren müssen, wie wenig sich unter der Oberfläche der „Macht“ wirklich geändert hat und welche Menschen es geschickt oder durch Protektion verstanden haben, nahtlos an ihre Zeit im dritten Reich nun anzuknüpfen. „Marie verspürte Schuldgefühle, beinah kam sie sich vor wie eine Verräterin, weil niemand wusste, dass sie überhaupt zu diesem Prozess gefahren war, nicht einmal, dass sie überhaupt nach Nürnberg gefahren war“. Nürnberg, Ort des Prozesses gegen die Nazi-Größen, aber auch gegen Handlanger. Und einen davon, der steht ihrer Familie nah. Auch Marie will wissen, was genau geschehen ist, was ihr Vater vielleicht weiß, und nicht sagt. So hindert die Vergangenheit, die traumatisiert, die jedem ein Gefühl von Schuld mit auf den Weg gibt, die Hauptpersonen des Romans zunächst an dem, was sie am dringendsten wollen, nämlich einen Strich ziehen und die Zukunft gestalten. In dieser inneren Situation der fassbaren Personen im Roman spiegelt Winter hintergründig die Verfassung der ganzen Zeit. Dieses „Rette sich wer kann“, dieses erleichtert sein, aber auch, mit Recht, bang nach hinten schauen und diese große Sehnsucht, neu anfangen zu können, in Frieden. Doch Gerechtigkeit ist etwas, was zumindest die wichtigen Akteure im Romane für diesen inneren Frieden benötigen, Seite für Seite. Und damit auch ein Stück “gegen das System“ sich stellen, das in nicht wenigen Richtungen lieber einen Generalstrich ad hoc unter alles ziehen wollen. Die „offizielle Seite“ des „Unterschlüpfens“ alter Beteiligter im neuen Gewandt, dies vollzieht Vera im Roman, die Verstrickungen des „normalen Menschen“ in all das und wie auch diese versuchen, dies durch Schweigen ungeschehen zu erklären, dieser Strang ist für Marie im Roman vorbehalten. Flüssig zu lesen, fundiert recherchiert, atmosphärisch dicht und spannend, eine klare Leseempfehlung.

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