Emma und Leo sind seit sieben Jahren glücklich verheiratet. Leo schreibt Nachrufe für eine große Tageszeitung, Emma ist eine brillante Meeresbiologin und ein ehemaliger Fernsehstar. Gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter Ruby genießen sie das Familienidyll in Hampstead, London. Nur eines trübt das Glück – Emma leidet an einer schweren Krankheit. Und so erhält Leo den Auftrag, einen Nachruf auf seine geliebte Frau zu verfassen, falls es zum Schlimmsten kommt. Doch bei den Recherchen über ihr Leben stößt er auf eine schockierende Wahrheit: Alles, was Emma ihm über sich erzählt hat, ist eine Lüge …
Taschenbuch, Klappenbroschur, 592 Seiten, 12,5 x 18,7 cm
ISBN: 978-3-442-48850-6
Auch als Hörbuch:
Wir spazierten gen Norden, getrennt vom weiten Sandstrand durch Seetangstreifen und Gezeitentümpel, die sich im Wind kräuselten. Schaumkronen tanzten auf dem Meer, und die wenigen Wolken warfen im Vorbeiziehen spiralige Schatten auf den Sand.
Es fühlte sich gut an, zusammen dort zu sein, an diesem Ort zwischen den Welten, wo das Land sich ins Meer neigte. Das waren nicht unsere Gefilde. Sie gehörten den Seesternen und Napfschnecken, den Anemonen und Einsiedlerkrebsen. Niemand nahm Notiz von unserer Zweisamkeit; niemand scherte sich darum.
Es regnete ein Weilchen, und wir hockten uns in eine Hütte inmitten der Dünen und futterten Sandwiches. In den Ecken lagen vertrocknete Schafköttelhäufchen, und der Regen trommelte auf das Dach wie eine Maschinengewehrsalve. Ein Plätzchen ganz für uns allein.
Wir gingen es ganz langsam an, während Wetterfronten weiter unten über den Strand jagten. In meinem Herzen wuchs die Hoffnung. Nach unserem kleinen Picknick-Lunch entdeckten wir das Krabbenskelett am anderen Ende des Strands. Mittelgroß, tot, allein im Schwemmsaum zwischen Treibholz und eingetrocknetem Spiraltang. Am Hinterleib klebten Scheidenmuschelfragmente, ein ausgeblichenes, verzwirbeltes Stück Schleppnetz hatte sich an einem leblosen Fühler erheddert, und sie hatte eigenartige signalrote Punkte an Rumpf und Scheren.
Erschöpft setzte ich mich, um sie mir genauer anzusehen. Vier ausgeprägte Grate zogen sich über den Panzer. Die Scheren waren mit Borsten überzogen.
Ich schaute in blicklose Augen und versuchte mir auszumalen, woher sie wohl gekommen sein mochte.
Ich hatte gelesen, Krabben trieben manchmal über gewaltige Strecken auf Flößen aus Plastikmüll oder Seetangbüscheln, manchmal sogar an einen seepockigen Bootsrumpf geklammert. Was wusste ich schon, vielleicht war dieses eigenartige Geschöpf aus Polynesien hierhergereist und hatte Tausende Meilen auf hoher See überlebt, nur um dann an einem Strand in Northumberland zu verenden.
Ich sollte lieber ein paar Fotos schießen. Meine Tutoren würden sicher wissen, was das war.
Aber als ich in meiner Tasche nach der Kamera kramte, wurde mir mit einem Mal ganz schummerig. Schwindel überkam mich wie plötzlich aufziehender Küstennebel, und ich musste über meine Tasche gebeugt reglos dasitzen und abwarten, bis er wieder verging.
»Niedriger Blutdruck«, erklärte ich, als ich mich schließlich wieder aufrichten konnte. »Hatte ich schon als Kind.«
Wir wandten uns wieder der Krabbe zu. Ich ging auf Hände und Knie, um sie von allen Seiten zu fotografieren.
Gerade als ich die Kamera verstaute, setzte der Schwindel wieder ein, aber diesmal kam und ging er in Wellen, wie das Meer. Ein eigenartiger Schmerz breitete sich in meinem Rücken aus, zusammen mit einem dunkleren, mächtigeren Gefühl, das mir vertraut war, das ich aber nicht zuordnen konnte. Wieder ging ich in die Knie, klemmte meine Hände zwischen die Beine, und der Schwindel übermannte mich.
Ich zählte langsam bis zehn, atmete tief ein und aus. Besorgte Worte, in denen Angst mitschwang, schwirrten mir um den Kopf. Der Wind drehte sich.
Als ich endlich die Augen wieder aufmachte, hatte ich Blut an der Hand.
Ich schaute genauer hin. Tatsächlich, es war Blut, ganz ohne Frage. Frisch, feucht, über meine rechte Handfläche verschmiert.
»Alles bestens«, hörte ich mich sagen. »Kein Grund zur Beunruhigung.«
Panik stieg in mir auf, unaufhaltsam wie die Flut.
Rosie Walsh ist Schriftstellerin und Fernsehproduzentin. »Ohne ein einziges Wort« ist der erste Roman, den sie unter ihrem eigenen Namen veröffentlicht, und wurde über Nacht in über 30 Länder verkauft. Wie ihre Hauptfigur wuchs Rosie inmitten der wunderschönen Hügel Gloucestershires auf, ist aber auch mit der Hektik der Großstadt vertraut. Sie kennt das Gefühl, jemanden kennenzulernen, mit dem man scheinbar seelenverwandt ist, nur um die nächsten zwei Wochen auf sein lebloses Telefon zu starren. Zum Glück hat sie inzwischen den Mann getroffen, der sich gemeldet hat, und lebt mit ihm und einem neugeborenen Baby in Bristol. Neben den vielen Stunden, die sie grübelnd und schreibend vor ihrem Computer verbringt, kocht sie (chaotisch, aber leidenschaftlich), liebt lange Spaziergänge, spielt Violine in einem Orchester, tanzt, liest viel und rollt ihre Yogamatte aus, so oft sie kann.
In einer Zeit, die Individualität und Unabhängigkeit als Ideale feiert – ist es da nicht altmodisch, nach der großen Liebe zu suchen?
Ganz und gar nicht! Ich glaube aber, sich die eigene Individualität und Unabhängigkeit zu erhalten ist – für beide Beteiligte – das Fundament einer erfolgreichen Beziehung. Selbstverständlich muss man Kompromisse machen, und die vollkommene Freiheit, die man als ungebundener Single genießt, wird natürlich eingeschränkt: Nehmen wir als Beispiel, jemand würde, ohne sich mit dem Partner abzusprechen, einfach eine Urlaubsreise alleine buchen. Das wäre doch irgendwie unhöflich. Aber ich wüsste nicht, warum Frauen im Namen der Liebe ihre Prinzipien über Bord werfen oder ihren freien Willen aufgeben sollten. Warum sollten wir nicht alles haben können? Männer haben das doch auch, seit Jahrhunderten schon! Für mich ist die Suche nach einem Lebenspartner die nach einem Mitspieler, nicht nach einem Spielführer.
Du hast den Mann deiner Träume bereits gefunden. Hast du einen Tipp für alle, die noch auf der Suche sind?
Ich war viele Jahre Single, und irgendwann habe ich die Hoffnung aufgegeben und bin nach Argentinien gezogen, um Bücher zu schreiben. Eines Tages stand ganz plötzlich ein sehr netter Mann namens George vor meiner Tür in Buenos Aires – ich weiß also nicht, ob ich gute Tipps geben kann. Vielleicht sollte man einfach ans andere Ende der Welt ziehen, wenn einem danach ist, aber ich kann nicht garantieren, dass der Mann der Träume frei Haus dazu geliefert wird. Ich hatte einfach unglaublich großes Glück!
Aber davon abgesehen glaube ich: Ich habe ihn kennengelernt, weil ich dazu bereit war. Wie viele andere Frauen ging ich langsam auf die Vierzig zu und musste einen ziemlich langen Selbstfindungsprozess hinter mich bringen – ich habe mich endlich mit Themen auseinandergesetzt, die ich jahrelang einfach ignoriert hatte. Und so habe ich schließlich einige ungesunde Muster durchbrechen können, in denen ich zuvor gefangen war. Hätte ich George vor diesem Prozess kennengelernt, wer weiß, ob es mit uns funktioniert hätte.
War es schon immer dein Wunsch, Schriftstellerin zu werden? Und woher holst du dir deine Inspiration beim Schreiben?
Als Kind wollte ich mit dreißig Premierministerin sein. Später wollte ich Konzert-Violinistin werden, was allerdings daran scheiterte, dass ich nie geübt habe. Und danach Schauspielerin, was daran scheiterte, dass ich kein Talent habe. Ich weiß gar nicht mehr, was ich werden wollte, als ich angefangen habe zu schreiben – zu der Zeit arbeitete ich beim Fernsehen und führte gerade Regie bei meiner ersten Dokumentation. Filmemachen hat mir Spaß gemacht, aber das war nicht das, was ich mein ganzes restliches Leben machen wollte.
Kurz bevor mein Film abgedreht war, sprach mich eine Lektorin an, die meinen Blog in der Marie Claire gelesen hatte. Sie fragte mich, ob ich schon mal darüber nachgedacht hätte, Schriftstellerin zu werden. „Nein“, antwortete ich. Sie fragte mich, ob ich mich mit der Vorstellung anfreunden könne. „Nein“, antwortete ich. „Ich bin gut im Redigieren, aber ich habe keine eigenen Ideen für Geschichten. Ich könnte mir keine Romanhandlung ausdenken, nicht mal unter Androhung von Gewalt.“
Erst als eine Freundin mich später entgeistert fragte, ob ich vollkommen den Verstand verloren hätte, schrieb ich der Lektorin eine E-Mail, dass ich eventuell doch gerne Schriftstellerin werden würde. „Okay“, meinte sie. „Dann schreiben Sie ein Buch. Wenn Sie fertig sind, schicken Sie es mir, und dann schauen wir, ob es mir gefällt.“ Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich das anstellen sollte. Aber irgendwann fand ich Inspiration in meinem eigenen Leben – mein Freund hatte sich kurz vorher von mir getrennt, und das nahm ich dann als Ausgangspunkt für meinen ersten Roman.
Stell dir vor, du begegnest einem Mann, einem wundervollen Mann, und verbringst sechs Tage mit ihm. Am Ende dieser Woche bist du dir sicher: Das ist die große Liebe, und es geht ihm ganz genauso. Zweifellos. Dann muss er verreisen und verspricht dir, er meldet sich auf dem Weg zum Flughafen. Aber er ruft nicht an. Er meldet sich gar nicht mehr. Deine Freunde raten dir, ihn zu vergessen, doch du weißt, sie irren sich. Irgendetwas muss passiert sein, es muss einen Grund für sein Verschwinden geben. Und nun stell dir vor, du hast recht. Es gibt einen Grund, aber du kannst ihn nicht ändern. Denn der Grund bist du.
»Eine große, zutiefst bewegende Liebesgeschichte, die einem das Herz bricht – und auf wundervolle Weise wieder heilt.«