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Rezension zu
Die Mittelmeerreise

Ein höchst emotionaler Reisebericht

Von: Sigismund von Dobschütz/Buchbesprechung aus Bad Kissingen
29.11.2018

Ein aus mehreren Gründen ungewöhnlicher Roman ist „Die Mittelmeerreise“ von Hanns-Josef Ortheil (67), im November beim Luchterhand-Verlag erschienen. Nach seiner „Moselreise“ (2010) und der „Berlinreise“ (2014) ist dies die Schilderung einer weiteren Urlaubsreise des Knaben Ortheil mit seinem Vater. Ungewöhnlich ist dieser detaillierte Reisebericht schon wegen seiner Mischung aus längeren Prosatexten des erst 15-jährigen Ortheil mit originalen Tagebucheinträgen und kurzen Essays, ergänzt durch einige zum jeweiligen Thema passende Reisenotizen des bald 60-jährigen Vaters. Sohn und Vater reisen als einzige Passagiere im Sommer 1967 auf einem Frachtschiff von Antwerpen, vorbei an Gibraltar ins Mittelmeer, in griechische Häfen und weiter bis Istanbul. Es ist die erste Auslandsreise des Latein- und Griechisch-Schülers und angehenden Pianisten. Sowohl auf hoher See als auch in den fremden Häfen überwältigen neue, intensive Eindrücke den bislang in Köln als Einzelkind eher in Klausur lebenden Knaben. Auch die vielen Gespräche mit den charakterlich so unterschiedlichen Schiffsoffizieren, aber auch mit dem Steward Denis, nur acht Jahre älter als er, prägen den noch unerfahrenen Jungen. Denis ist es, der den jungen Ortheil in Griechenland in die ihm völlig fremde Welt von Love, Drugs and Rock'n'Roll einführt. In einer Diskothek lernt Hanns-Josef die 23-jährige Delia kennen, die ihn spontan verführt und damit emotional überfordert. So gleicht diese Mittelmeerreise mit ihren Stürmen und überwältigenden Eindrücken für den Gymnasiasten Ortheil nicht nur der Odyssee des von ihm verehrten Dichters Homer, sondern wird für den Pubertierenden zu einer ganz persönlichen, verwirrenden Odyssee aus dem Kindesalter in die Männlichkeit. Der junge Ortheil beobachtet in seinen Reisenotizen nicht nur die Wandlung in sich selbst, seinen Weg in die Selbstständigkeit des Erwachsenen, sondern beginnt auch, seinen Vater und ständigen Begleiter – sowie aus der Ferne seine daheimgebliebene Mutter – aus neuem Blickwinkel, mit den Augen eines erwachsenen Sohnes zu sehen, der sich, statt sich wie bisher führen zu lassen, nun seinerseits um den bald 60-jährigen „alternden“ und herzschwachen Vater sorgt. „Die Mittelmeerreise“ wird alle Freunde Ortheil'scher Bücher sicher begeistern. Doch sollte man seine autobiographischen Bände „Die Erfindung des Lebens“ (2009) und „Der Stift und das Papier“ (2015) gelesen haben, um zu wissen, wie aus dem einst stummen Kind, das sich nur schriftlich mitzuteilen wusste, jede Beobachtung notierte und später zu Erzählungen ausarbeitete, ein so sprachgewaltiger Schriftsteller wurde. Es ist die Authenzität dieses Erzählens, die die Freunde seiner Bücher immer wieder, so auch in diesem neuesten Werk, begeistert. Wer Ortheils Bücher noch nicht kennt, mag das 635 Seiten starke Werk irgendwann, spätestens in der zweiten Hälfte wohl zu Recht langweilig finden. Spannt sich der Handlungsbogen anfangs nach dem Auslaufen und den Stürmen auf hoher See, über die ersten Landgänge bis hin zu den ersten romantischen und sexuellen Erfahrungen des 15-Jährigen mit der jungen Griechin noch auf, flacht er in der zweiten Hälfte des Buches mangels neuer Überraschungen wieder ab. Ortheils Art zu schreiben mag man oder man mag sie nicht. Doch ich schätze Ortheils "leise Art" zu schreiben, seine genaue Beobachtungsgabe und die heute bei vielen verloren gegangene Fähigkeit, sogar in Kleinigkeiten, scheinbar Nebensächlichem, noch etwas Großes zu entdecken.

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