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Rezension zu
Das Land der Anderen

In einem anderen Land

Von: LiteraturReich
01.08.2021

Seitdem Leïla Slimani 2016 für ihren Roman Dann schlaf auch du mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde, gilt die 1981 in Rabat/Marokko geborene Autorin als eine der renommiertesten und einflussreichsten Autor:innen Frankreichs. Psychologisch genau, offen, nüchtern und eher knapp war auch bereits ihr erster Roman All das zu verlieren, der auf Deutsch erst 2019 veröffentlicht wurde. Nun erscheint von Leïla Slimani ein etwas anderes, auf drei Teile angelegtes Romanprojekt, das episch breiter eine Familiengeschichte zwischen Frankreich und Marokko erzählt, die sehr derjenigen der Autorin ähnelt – Das Land der Anderen ist der erste Band. 1944 lernt die junge Elsässerin Mathilde den für Frankreich kämpfenden Marokkaner Amine Belhaj kennen und verliebt sich in den gutaussehenden Soldaten. Dieser ist von der großen, blonden, unabhängigen Frau bezaubert, sie heiraten. Nach dem Krieg ziehen sie von Mühlhausen in die Nähe der Stadt Meknès am Fuße des Mittleren Atlasgebirges. Hier hat Amine ein Stück Land und ein einfaches Haus geerbt. Hier will er ein erfolgreicher Landwirt werden und versucht sein Glück mit dem Olivenanbau. Für Mathilde war die Hochzeit ein Abenteuer, ein Ausbruch aus ihrer bürgerlichen Welt, in der sie sich langweilte. In Marokko aber holt sie schnell die Wirklichkeit ein. Ihr Zuhause liegt zu weit draußen, als dass sie regelmäßig am gesellschaftlichen Leben der Stadt teilnehmen könnten. Außerdem gehört Mathilde weder ganz zur französischen Gemeinde, die in der „ville nouvelle“ ein noch weitgehend koloniales, separiertes Leben führen, noch zur marokkanischen Bevölkerung, die die Europäerin misstrauisch beäugt. Auch kehrt Amine zu den patriarchalen Gepflogenheiten seiner Heimat zurück. Hat Mathilde noch eine gewisse Freiheit, unterdrückt er seine Schwester Selma gnadenlos. Als ihr Verhältnis mit einem jungen Franzosen bekannt wird – Mathilde ist daran nicht ganz unschuldig -, verheiratet er sie mit seinem viel älteren Regimentskameraden Mourad. Mathilde, für die die Großmutter der Autorin Modell stand, fühlt sich einsam und als Außenseiterin, passt sich aber weitgehend an. Ein längerer Frankreichaufenthalt nach dem Tod ihres Vaters bietet ihr die Gelegenheit zum Ausbruch, die Liebe zu ihren beiden Kindern Aïcha und Selim lässt sie aber zurückkehren. Die kleine Aïcha wird im nächsten Band heranwachsen und ist der Mutter Slimanis nachgebildet. Die Unterdrückung der Frau in den alten patriarchalen Systemen Marokkos ist eines der Themen, die Leïla Slimani in Ein anderes Land anspricht. Mathilde wird ihre Aufgabe in einer Krankenstation finden, wo sie die einfachen Leute medizinisch versorgt, soweit sie das vermag. Aber sie leidet. „Sie hatte sich nicht vorstellen können, was Emigration wirklich hieß.“ Auch ein Freund der Familie, der ungarische Jude Dragan, den die Verfolgung nach Marokko verpflanzt hat, weiß davon ein Lied zu singen. Aber nicht nur den Frauen im Land fehlt die Selbstbestimmung. Ein ganzes Volk lebt unterdrückt von seinen Kolonisatoren, auch wenn Marokko offiziell nur ein "Protektorat" Frankreichs ist. Zu Beginn der 1950er Jahre beginnt sich dagegen Widerstand zu regen. Amines Bruder Omar ist in der Rebellenorganisation aktiv. 1956 wird Marokko unabhängig. Die Familie und besonders die Kinder Aïcha und Selim stehen zwischen den Fronten. Sie fühlen sich ein wenig wie der „Zitrangenbaum“ im Garten „‚Wir‘, sagte er, ‚sind wie dein Baum, halb Zitrone, halb Orange. Wir gehören zu keiner Seite.‘ (...) Während er leise auf den Flur trat und die Tür schloss, dachte er, dass die Früchte des Zitrangenbaums ungenießbar waren.“ Es geht Leïla Slimani also auch um Identität in Ein anderes Land. Sie entfaltet ihre Themen in einem historischen Tableau, das aber niemals üppig oder ausufernd wird. Sie erzählt fast nüchtern und leicht distanziert, eher konventionell, dabei aber atmosphärisch, lebendig und mitreißend. Durch die verschiedenen Perspektivwechsel wird die Spaltung und Zerrissenheit der Protagonisten besonders deutlich. Man darf auf die Fortsetzungen gespannt sein.

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