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Roman — Die Entdeckung einer großen literarischen Stimme
★ ★ ★ ★ ★
33 RezensionenMit einem heimlich geschlachteten Schaf beginnt der Blick in die Innereien einer Familie. Hier rührt die Urgroßmutter das Blut für die Würste, der Großonkel schläft fünfzehn Jahre lang, und die Großmutter stiehlt nachts die Ziegel vom Dach. Am Ende steht die Urenkelin Alma und fügt die Einzelteile der Familiengeschichte zusammen: vom kargen Alltag auf einem Bauernhof an der Nordsee über den Krieg und den Neuanfang fern der Heimat bis in die Gegenwart, in der die Großmutter ins Heim muss und Alma versteht, dass sie das letzte Glied in der familiären Kette ist.
In kurzen, virtuos verdichteten Passagen entfaltet Anna Maschik einen ganzen Kosmos – die Familie als ein großer Resonanzkörper, in dem die Prägungen widerhallen über die Generationen hinweg. Es ist eine Geschichte von bevorzugten Geschwistern, vom Scheitern am Schlaf und an der Sprache, von der Verwandlung in ein Möbel, einen Wolf, einen Zitronenbaum. Lakonisch und voll schwebender Magie erzählt sie davon, was Vorbestimmung ist und ob man ihr entkommen kann.
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Zentral für das Entstehen des Romans war der erste Satz, der auch der Titel ist. Einmal wurde in meiner Familie über meine Urgroßmutter, die ich nicht kannte, erzählt, sie sei eine harsche, aber auch mutige Frau gewesen, weil sie im Krieg heimlich schlachtete. Das hat mich beschäftigt, der Krieg natürlich, aber auch die Frage, wieso sie heimlich schlachten musste. Das schien wie aus einer Welt, die mir fremd war, die aber trotzdem irgendwie zu mir gehörte.
Ich habe mich gefragt, auf welche Weise die Leben jener, die vor uns kamen, unser eigenes formen. Und wie kommt es dazu, dass jede Generation, obwohl sie versucht, die Dinge anders zu machen als die Eltern und Großeltern, doch immer wieder zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt? Dieses wiederholte Abarbeiten an Dingen, die wir schon vor unserer Geburt mit auf den Weg bekommen haben, ist etwas, das sich auch in Almas Familie abspielt. Der Roman ergründet, ob und wie ein Ausbruch gelingen kann – nicht zuletzt auch erzählerisch.
Alma – was auf Spanisch auch »Seele« bedeutet – ist zwar das jüngste Mitglied ihrer Familie, zugleich aber auch eine Art Familienseele, die vieles zu wissen scheint, selbst wenn sie nicht dabei gewesen ist. Die Eingeweideschau, wie Alma ihre Erzählung nennt, erfolgt entlang der Frauen ihrer Familie, aus deren Eingeweiden sie selbst ja in gewisser Weise stammt. Familienzusammengehörigkeit entsteht in meinem Roman entlang der mütterlichen Linie, die Männer tauchen in der Geschichte erst auf, wenn sie die Frau kennenlernen.
Und die Beziehung der Frauen zueinander ist paradox: Während die Mütter Missgunst empfinden, weil ihre Töchter schöner und gebildeter sein dürfen als sie selbst, versuchen sich die Töchter in die Natur zu flüchten und erben damit unabsichtlich die Liebe der Mütter zu Landschaft und Garten. Aus dem Versuch der Rebellion wird am Ende eine Gemeinsamkeit, das scheint der unvermeidbare Gang der Dinge zu sein.
Meine Urgroßmutter stammt aus einem norddeutschen Dorf, von dem immer viel erzählt wurde, das ich aber lange nicht selbst kennengelernt habe. Es erschien mir wie eine mythische Landschaft. Ich habe versucht mir das Leben dort vorzustellen, die alltäglichen Arbeiten und Abläufe, die den Großteil eines Lebens ausmachen und in Familiengeschichten oft außer Acht gelassen werden. Mir war wichtig, das detailliert und wahrheitsgetreu darzustellen, auch um den magischen Begebenheiten, die sich um Almas Familie ranken, einen Anker in der Realität zu bieten.
Mich hat außerdem interessiert, wie sich die Geschichte einer Familie erzählen lässt, die über weite Strecken sprachlos ist und die das viele Sprechen – wie in der Kindheit von Hilde oder Miriam – sanktioniert. Die Antwort lautete, dass sich vieles vorrangig im Körperlichen und im Alltäglichen zutragen musste – im Schlachten und Essen, Säen und Ernten, Schlafen und Wachen, Gebären und Sterben.
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