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Rezension zu
Über Menschen

Über Menschen von Juli Zeh: Können Nazis gute Menschen sein?

Von: Frederike Köhl
21.07.2021

Dora muss raus aus Berlin. Der Corona-Alltag, eine scheiternde Beziehung und das Hamsterrad des Kapitalismus haben sie fest im Griff und nehmen ihr die Luft zum Atmen. Ein renovierungsbedürftiges Haus in Bracken, einem kleinen Dorf in Brandenburg, soll ihr den nötigen Fluchtpunkt bieten. Selbst Gemüse anbauen, abschalten und in die ländliche Idylle horchen – halt einen klischeehaften Traum einer gestressten Großstädterin leben. Doch so einfach ist das nicht mit dem Abschalten, denn in Bracken will sich nichts so richtig zuordnen lassen. Ein Nazi kann hilfsbereit sein? Ein Schwuler wählt die AfD? Die Grenzen zwischen Gut und Böse scheinen nicht so leicht zu ziehen zu sein wie Dora einst dachte. Lesenswert? Juli Zeh ist hier ein weiterer kritischer und bewegender Gesellschaftsroman gelungen. Kaum eine Autorin hat einen derart scharfen Blick auf ihr Umfeld und benennt Schwächen in vermeintlich politisch korrekten Einstellungen so präzise. In Über Menschen porträtiert sie die deutsche Gesellschaft im Krisenmodus, den scheinbar einige fanatische Gutmenschen sich sehnlichst herbeiersehnt haben. Insbesondere wird in diesem Roman deutlich, dass political correctness scheinbar ein Luxusgut ist. So ist es doch viel leichter, sich für Umweltschutz und Pandemiemaßnahmen und gegen Rassismus klar und deutlich auszusprechen, wenn man mit den Problemen, die diese Überzeugungen mit sich bringen, nicht konfrontiert wird. Natürlich sieht man nur die Vorteile in Biolebensmitteln und Leinenbeutel, wenn man selbst kein Landwirt ist, der daran fast bankrottgeht. Auch mit dem Fahrrad und den öffentlichen Verkehrsmitteln lässt es sich in einer Großstadt wunderbar vorankommen. Doch lebt man in Bracken, merkt man schnell, dass ohne eine taugliche Infrastruktur der Verzicht auf ein Auto undenkbar ist. Auch Corona-Maßnahmen sind absolut nachvollziehbar, wenn die eigene Existenz davon nicht abhängt. Der Roman lässt sich wunderbar lesen und ist an vielen Stellen augenöffnend. Man erwischt sich selbst doch immer wieder dabei, ein bisschen Robert in sich zu tragen, dann aber auch den Brackener Dorfbewohner. Und auf den letzten Seiten bleibt man orientierungslos zurück und stellt fest, dass Dorfnazis komischerweise auch gute Menschen sein können und dass das Gute und Böse häufig so dicht beieinander liegen kann.

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