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Rezension zu
Über Menschen

Ostdeutsche Lebensweisheit trifft auf großstädtische Neurosen

Von: Ulrike Friese
16.07.2021

Wann ist es egal, welche politische Meinung ein Mensch hat? Darf ein kahlrasierter, hässlicher Nazi ein liebender Vater und Freund sein? Die Antworten muss der Leser am Ende des Romans selbst liefern. Allerdings zeigt die westdeutsche Dora, die Protagonistin des Romans "Über Menschen" von Juli Zeh, die Ebenen der Reflexion auf. Dabei fängt Zeh treffsicher die Lebenswirklichkeiten der Menschen auf der anderen Seite der Elbe ein: Manchmal plakativ in der Zeichnung der Charaktere, aber glaubwürdig im Zusammenspiel der Romanfiguren. Diese müssen sich in all ihren Widersprüchen gegenseitig aushalten, denn sie leben im Niemandsland miteinander, sind aufeinander angewiesen und verarbeiten ihre sozialistischen Vergangenheiten, fast familiär. "Die Neuen" werden dabei an ihren Taten gemessen, weniger an den Worten. In diesem Sinne wird die Regionalbahn zur Schleuse zwischen den Welten, denn social distancing und Worthülsen als Erfolgsgarant gehören wie selbstverständlich zum Hamsterrad eines Werbetexters und zum Frauenbild der neurotischen Großstädter, wenn man Dora glauben darf. Die abschließende Bewertung, die der Erzähler in der 3.Person fast entrückt vom Erzählgeschen trifft, empfinde ich als mutig und zeigt Doras eigene Widersprüchlichkeit nochmal auf, der sie sich im Verlauf des Romans durchgehend stellen muss, inklusive der eigenen belasteten Familiengeschichte, die letztlich in ihrer selbstgewählten Einsamkeit mündet. Der GUTMENSCH bleibt eben eine Fiktion der Ideologien von rechts und links. Dennoch gibt es in jedem Menschen das Gute so wie es eben auch das Böse, Hässliche gibt. Eine Erkenntnis, die man tatsächlich nur in der ostdeutschen Pampa, in Sibirien oder der Wüste findet. Nicht umsonst wird von Juli Zeh als Referenz Heidegger bemüht. Ich bin sehr begeistert von der Sprache, der präsentierten emotionalen Intelligenz des Hauptcharakters, dem innewohnenden Humor, der wiederholt die politischen Realitäten aufs Korn nimmt und habe dabei fast wie nebenbei meine eigene Heimat wiedererkannt, inklusive der Angst vor den Nazis, der Einsamkeit und den teilweise schrullig liebenswerten Menschen. Seit "Corpus Delicti" der beste Roman Juli Zehs, der den Menschen im Osten auf unnachahmliche Weise eine Stimme verleiht.

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