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Rezensionen zu
Das Versprechen

Damon Galgut

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In “Das Versprechen” erzählt Damon Galgut die Geschichte einer weißen Farmerfamilie in Südafrika von den 1980er Jahren bis heute. Er berichtet von den Konflikten in der vielschichtigen Rainbow-Gesellschaft unten am Kap, die sich bis heute mit der Gleichberechtigung zwischen den Hautfarben schwer tut. “Das Versprechen” ist ein melancholischer, leiser Roman. Er erzählt vom Verfall der alten blühenden Farmen und von dem, was sich die weißen Farmer einfach genommen haben. Der Autor switcht dabei immer in verschiedene Perspektiven: in die von Anton, der gerne hätte, dass alles so bliebe, wie es einst war, in die seiner Frau, die sich in eine Scheinwelt zurückgezogen hat und die seiner jüngeren Schwester Amor, die schon lange die alten Zöpfe abgeschnitten hat. So ist “Das Versprechen” ein ruhiger und ernster Roman, der vom tiefgreifenden, mühsamen Zeitenwandel in Südafrika berichtet. Wunderbar gelesen von Moses Leo.

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Der Tod gehört zum Leben

Von: Ingeborg Rosen

06.03.2022

Wir lesen die Geschichte einer offensichtlich wohlhabenden weißen Farmerfamilie aus der Nähe von Pretoria, humorvollerweise mit dem Familiennamen Swart, Vater Mannie, Mutter Esther und die Kinder Astrid, Anton und Amor. Mit dem Einsetzen der Handlung ist die Familie bereits zerstreut: Astrid verheiratet und selber Mutter, Anton beim Militär und Amor, 13 Jahre alt, im Internat, weil Esther schwer krebskrank ist. Sie stirbt, die Kinder kehren nach Hause zur Beerdigung zurück. „Das Versprechen“ hat sie kurz vor ihrem Tod noch ihrem Mann abgerungen: Salome, der zuverlässigen schwarzen Hausangestellten soll das Haus, in dem die mit ihrem Sohn Lukas lebt, überlassen werden, und zwar juristisch korrekt. Im Laufe des Romans wird es jeweils mit Abstand von neun Jahren drei weitere Beerdigungen geben und jeweils bei diesen Anlässen trifft sich die Familie und - nur dann - Amor wird einfordern, dass das Versprechen eingelöst wird. Es ist schon eine großartige Idee, die Handlung des Roman durch vier Beerdigungen - jeweils nach einem anderen religiösen Ritus - zu „klammern“. Die vier Protagonisten, denen jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet ist, sterben - so könnte man es deuten, an ihrem Leben: Esther (Ma), ursprünglich jüdisch, hatte aus Liebe zu Mannie die Religion gewechselt, Mannie (Pa) stirbt in seinem eigenen Reptilienpark unglücklich an einem Schlangenbiss. Astrid, beladen mit teuren Tüten aus einer Shopping-Mall, wird entführt und ermordet, obwohl „nur“ ihr Auto von Interesse ist. Anton, schon immer ziel- und planlos, begeht Selbstmord. Aber der Tod gehört zum Leben, und für den Autor bieten die Arte und Weise der Beerdigungen jeweils die Möglichkeit zur Darstellung der sich verändernden politischen Lage in Südafrika von 1986, die letzte Phase der Apartheid bis zum 14.2. 2018, dem Rücktritt Jacob Zumal, und zu eindringlichen Charakterzeichnungen des Personals, weltlich oder kirchlich. So disparat sowohl die Situation in Südafrika als auch der dysfunktionale Zustand der Familie Swart in diesem Zeitraum, so disparat ist auch der Erzählstil, den Galgut meisterlich beherrscht. Der Leser hat zuweilen das Gefühl, mit den Akteuren in einem Raum, an einem Tisch zu sitzen und dabei immer wieder die Erzählperspektive zu wechseln, bisweilen sogar mitten im Satz. Und durch diesen großartigen Erzählstil wird nicht nur die Situation der Familie deutlich betont sondern auch der komplizierte Vorgang des „sich findens“ in Südafrika während der Umwandlung von der Apartheid über die neue Freiheit unter Nelson Mandela und schließlich die Zeit unter Jacob Zuma. Grosse Geschichte wird in vielen kleinen Geschichten erzählt, und Neid und Missgunst gibt es nicht nur in Südafrika...

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Auf den ersten Blick ist mit Das Versprechen von Damon Galgut im vergangenen Jahr ein klassischer Familienroman mit dem hochdotierten Booker Prize ausgezeichnet worden. Im Klappentext ist vom „Zerfall einer weißen südafrikanischen Familie“ die Rede, von „Dreißig Jahre politischen Umbruchs“. Wer nun aber eine epische, sich breit entrollende Geschichte erwartet, wird vom Text (äußerst positiv) überrascht. Die Art und Weise, wie der 1963 in Pretoria geborene Damon Galgut von der Burenfamilie Swart erzählt und einen weiten Bogen vom Jahr 1986 bis in die unmittelbare Gegenwart des Jahres 2018 schlägt, ist so fesselnd wie herausfordernd. Fesselnd, weil das Erzählte so illusionslos und bitter wie komisch und turbulent dargebracht wird; herausfordernd, weil das multiperspektivische Erzählen wie eine unruhige Kamera durch das Geschehen und die Reihen der Protagonist:innen fährt, vor harten Cuts und Perspektivwechseln auch inmitten eines Satzes nicht zurückschreckt, Closeups auf die Figuren, Bewusstseinsströme und innere Monologe mit bissigen, spöttischen Einwürfen einer übergeordneten Erzählinstanz und Lerser:innenansprache munter abwechselt und eine wirkliche Nähe zu den durch die Bank weg eher unsympathischen Protagonist:innen gar nicht erst aufkommen lässt. Am ehesten noch kommt Sympathie für Rachel Swart auf, die Mutter, die zu Beginn, man schreibt das Jahr 1986 und befindet sich noch in den letzten Zuckungen des Apartheid-Regimes, nur vierzigjährig an Krebs verstirbt. Zuvor hatte sie ihren jüdischen Glauben wieder angenommen, den sie für die Heirat mit dem Buren Manie abgelegt hatte. Diesem trotzt sie am Sterbebett das titelgebende Versprechen ab, der Schwarzen Hausabgestellten Salome, die nicht nur alle drei Kinder großgezogen, sondern auch sie bis zum Schluss aufopferungsvoll gepflegt hat, das kleine Häuschen, in dem sie mit ihrem Sohn lebt, zu übertragen. Abgesehen von der jüngsten Tochter Amor, die zu dem Zeitpunkt 13 Jahre alt ist und dem Versprechen gelauscht hat, ist keiner der Familienangehörigen in der Folge daran interessiert, dieses Versprechen einzulösen. Dabei sind gar nicht alle so rassistisch und dünkelhaft unterwegs wie Manies Schwester, „Tannie Marina“, und ihr Mann Ookie. Ignoranz und Gleichgültigkeit sind die vorherrschenden Gründe, das kleine, baufällige Häuschen, das durch einen Hügel, den „koppie“, vom Farmhaus getrennt liegt, nicht abzutreten. Auf diesem „koppie“ wurde Amor, als sie sechs Jahre alt war, Opfer eines Blitzeinschlags. Nicht nur einen Zeh und einen versehrten Fuß kostete sie das, man macht das Ereignis auch dafür verantwortlich, dass Amor irgendwie „anders“ ist. Sie pflegt von allen Geschwistern das engste Verhältnis zu Salome. Auch die verschiedenen Kirchen, denen die Familienmitglieder angehören, spielen im Buch eine unrühmliche Rolle, dienen sehr wenig der Versöhnung, sondern der Spaltung und verfolgen stets ihre eigenen Interessen. Sehr bald durchschaut man, welches Bauprinzip Damon Galgut für seinen Roman Das Versprechen verwendet hat. Vier Kapitel, vier Todesfälle, vier Beerdigungen. Nach 1986 finden sie 1995 – Nelson Mandela ist seit einem Jahr Präsident, die Apartheid vorüber -, 2004 - Thabo Mbeki, der als AIDS-Leugner traurige Berühmtheit erhielt, wurde als Präsident wiedergewählt - und 2018 – der korrupte Präsident Jacob Zuma trat erzwungenermaßen zurück - ,statt. Gut dreißig Jahre südafrikanische Geschichte, dreißig Jahre Gewalt, Hass und Rassismus, aus denen sich das Land bisher nicht wirklich befreien konnte. Dreißig Jahre einer ziemlich dysfunktionalen Familie, die ihren Platz im sich verändernden Land nicht recht zu finden scheint. Und dreißig Jahre eines nicht gehaltenen Versprechens, das als Fluch auf der Familie lastet wie das nicht eingehaltene Versprechen einer friedlichen, multikulturellen „Regenbogennation“, die Mandela bei seinem Amtsantritt im Sinn hatte, auf Südafrika. Durch einen Blick auf die Kapitelnamen erfährt man sehr schnell, dass auch Manie, Agnes und Anton zu Grabe getragen werden und nur die jüngste Tochter Amor, die sich früh von der Familie abgesetzt hat und lange Zeit als Krankenschwester HIV-Patienten betreut, als letzte der Swarts übrigbleibt. Mit ihrem Altruismus erscheint sie zunächst als einzige halbwegs sympathische Person im Roman. Aber ihre fast zwanghafte Art macht auch sie ambivalent. Und letztlich hat auch sie dreißig Jahre lang nicht viel mehr getan, als hin und wieder an das Versprechen, Salome das Haus zu überschreiben, zu erinnern. Diese bleibt bis zum Ende nahezu unsichtbar, ein Schatten. Das mag man kritisieren, letztendlich passt es aber zur Einstellung, die die Weißen gegenüber den Schwarzen lange Zeit hatten oder immer noch haben. Amor schenkt ihr schließlich das Haus und noch viel mehr. Ein Happy End ist das aber nicht. Die junge Generation Schwarzer, vertreten durch Salomes Sohn Lukas, nimmt das Geschenk, das nicht mehr als ein Almosen ist, nicht mehr demutsvoll an. Zuviel Hass und Aggression hat sich da verständlicherweise schon angestaut. Und außerdem beanspruchen bereits einst vom Land vertrieben Menschen dieses und fordern es zurück. Am Ende schließt Damon Galgut den Kreis in Das Versprechen. Amor gerät erneut in ein Gewitter am „koppie“. Ein zweiter Bogen, der sich schließt, gefällt mir weniger gut. Beginnt das erste Kapitel mit Amors erster Monatsblutung, endet das Buch mit deren Menopause. Da meint der Autor, von „trocken fallenden Kanälen“ und „ausgehendem Saft“ sprechen zu müssen. Noch anfügend, „womöglich war´s das“. Schade, dass er sich das nicht verkneifen konnte. Es ist meine einzige Kritik an diesem insgesamt sehr preiswürdigen Roman. Damon Galgut macht es seinen Leser:innen nicht unbedingt einfach, eine Identifikation mit seinen Protagonist:innen ist wegen der speziellen, unruhigen, sprunghaften Erzähltechnik kaum möglich, hinzu kommt eine Menge Spott und ein düsterer Humor, mit dem er auf sie schaut und die zusätzlich Distanz schaffen. Dennoch ist sein Blick immer auch einer mit Empathie. Einmal spricht er von „eine gewöhnliche Bande weißer Südafrikaner“, der schließlich auch er angehört. Das Buch ist illusionslos, bitter, komisch und unterhaltsam. Neben dem aus Sansibar stammenden Abdulrazak Gurnah (Literaturnobelpreis), der Simbabwerin Tsitsi Dangarembga (Friedenspreis des deutschen Buchhandels) und dem Senegalesen Mohamed Mbougar Sarr (Prix Goncourt) war Damon Galgut 2021 der vierte aus Afrika stammende Träger bedeutender internationaler Literaturpreise.

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Die Swarts sind einer der wohlhabenden, weißen Familien, die in Südafrika in der Zeit Apartheid leben. Manie, der Vater, dessen Farm er von seinem Vater vererbt hat. Rachel, die Mutter, die seit über einem Jahr gegen Krebs kämpft. Anton ist der älteste Sohn. Astrid, die mittlere und Amor, die jüngste Tochter der Familie. Gerade mit vierzig stirbt Rachel durch ihre lange Krankheit, doch bevor es so weit war, nimmt sie das Versprechen ihres Mannes ab: die schwarze Hausangestellte Salome, die seit der Geburten von ihren Kindern nicht von Rachels Seite gewichen ist und sie liebevoll bis zu ihren letzten Atemzügen gepflegt hat, soll ihr Dienstmädchenhaus als Dankeschön über sich geschrieben bekommen. Amor das Gespräch zwischen ihren Eltern gelauscht hat, spricht sie den letzten Wunsch von ihrer Mutter bei der Trauerfeier offen an. Doch die ganze Familie, inkl. Vater tun so, als ob die gar nichts davon wissen. Mehrere Jahrzehnte rauschen mit vielen Schicksalsschläge an Swarts Kindern mit immer wieder vorkehrenden Fragen vorbei: was ist mit Mamas letztem Wunsch und Papas Versprechen? Der Roman fängt im Jahr 1986 an und wir begleiten die Swarts über dreißig Jahre lang, von Apartheid bis zu Demokratie. In der Zeit treffen die Kinder fast jedes zehnte Jahr bei tragischen Familienereignissen auf der Farm, kommen zusammen und entfernen sich wieder. Es war interessant zu lesen, wie die traurigen Angelegenheiten, ohne erdrückend zu wirken, aufs Papier gebracht wurde. Auch die Charaktere waren für mich sehr abwechslungsreich, doch ich muss gestehen, ich hatte (besonders am Anfang) extreme Probleme mit dem Erzählstil. Denn der Autor hat „Stream of Consciousness“ als Erzähltechnik gewählt und zwar bis zur Erschöpfung. Die alles besser wissende Erzählstimme greift unmöglichen Stellen zu Wort und dabei hüpft es nicht nur zwischen die Leser, die Geschehnisse, physische, unphysikalische und psychische Erlebnissen von Figuren, sondern unerwartet, mitten im Satz ergreift er auch ein Perspektivenwechseln ein. Es hat mich nicht nur irritiert, sondern auch genervt, sodass ich mich bis S.100 lesen zwingen musste. Doch wenn man erst mal an die Erzählung gewöhnt, wirkt das Aufbau des Buches wie ein Film. Es ist kein einfaches Buch, welches man mit einem Zug durch liest. Es erfordertet viel Konzentration, Geduld und Durchhaltevermögen. Nichtsdestotrotz war es für mich ein sehr interessantes Leseerlebnis.

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Am ersten Tag nach Rachels Tod findet die Familie sich ein. Anton reist aus der Kaserne an, seine jüngere Schwester Amor wird aus dem Internat abgeholt. Sie treffen auf ihren Vater, ihre Schwester Astrid, Tante wie Onkel. Nach der Beerdigung zerstreuen sich die Swarts jedoch wieder in alle Himmelsrichtungen. Ohne zu ahnen, dass sie sich als Familie erst wieder in neun Jahre wiedersehen. Zeit, in der der letzte Wunsch Rachels und das Versprechen ihres Mann sich nicht erfüllen wird. Ein Versprechen, das wie ein Katalysator die Spannungen in der Familie befeuert, ein Versprechen, in dem sich die Beziehung zwischen Weißen und Schwarzen in Südafrika ablesen lässt – und nach dem Damon Galgut letztlich seinen preisgekrönten Roman benannt hat. Die Swarts zählen zu den vermögenden weißen Familien. Ihr Zuhause ist eine Farm vor den Toren Pretorias. Hermann „Mannie“ Albertus Swart verdient sein Geld mit einem gut gehenden Reptilienpark. Zu ihren Angestellten gehört auch das farbige Dienstmädchen Salome, die mit ihrem Sohn Lukas auf der Farm im Lambord-Haus wohnt. Rachels letzter Wille war es, dass sie dieses Haus sowie das Land, auf dem das Gebäude steht, erhält. Doch die Jahre vergehen, ohne dass Salome Hausbesitzerin wird. Die Geschwister Astrid, Anton und Amor treffen sich erst wieder, als Hermann nach einem tragischen Schlangenbiss stirbt. Astrid ist mittlerweile verheiratet und Mutter, Anton war nach seiner Fahnenflucht untergetaucht und wurschtelt sich durchs Leben, Amor hat ihre Heimat verlassen. Es werden fortan immer die Beerdigungen sein, zu denen sich die Swarts zusammenfinden. Stets in einem Abstand von neun Jahren, der auf den ersten Blick konstruiert erscheinen mag – oder auch wie ein Fluch. Denn die Familie reduziert sich merklich. Mal wird es ein Verbrechen, mal Selbstmord die Ursache sein. Und immer tiefer ziehen sich die Gräben zwischen den Familienmitglieder, die sich aus den Augen verlieren, immer verfallener wirkt die Farm, auf dem nach dem tragischen Tod Mannies Anton das Sagen hat, der mit seiner Frau das Erbe verprasst, der trinkt und spielt, erfolglos an einen Roman schreibt. Auch der einst erfolgreiche Reptilien-Park geht den Bach runter und wird zwangsversteigert. „Das Versprechen“ erzählt nicht nur die Geschichte einer Familie, sondern auch die des Landes Südafrika, in der zu Beginn Ende der 80er-Jahre noch Apartheid herrscht. Neun Jahre später ist Nelson Mandela Präsident, gegen Ende des Romans erlebt der Leser den Rücktritt Jacob Zumas. Das Ende der Apartheid-Gesetze bedeutet jedoch nicht, dass jegliche Unterdrückung und Ungleichbehandlung der schwarzen Bevölkerung Geschichte ist. Sie zeigt sich vielmehr im Privaten, im Alltag, in den Familien; wenn Antons Frau das Dienstmädchen demütigt oder dessen Sohn Lukas nie die Chance auf einen sozialen Aufstieg erhält, er vielmehr als Farmarbeiter Mannies Grab ausschaufelt. Das Gefühl, wirklich eine Gemeinschaft zu sein, ist von kurzer Dauer, Folge eines Sport-Events: der Rugby-WM im eigenen Land. Darüber hinaus werden die Protagonisten des Romans mit den großen Problemen des Landes konfrontiert: Gewalt und Kriminalität, Aids, Armut und Obdachlosigkeit. Das besondere stilistische Kunststück des Romans liegt in seinen teils plötzlichen Perspektivwechseln, die tiefe Einblicke in die Gedankenwelt und Mentalität der Figuren ermöglichen. Hinzu kommt eine Erzählstimme, die manchmal die Protagonisten anspricht, manchmal sich an den Leser richtet. Neben den Hauptfiguren lässt Galgut auch eine Reihe interessanter Nebenfiguren auftreten, wie beispielsweise einen Obdachlosen, der einst angesehen, mit Job und Familie, nun auf wenigen Quadratmetern Pappe nahe der Kirche schläft. Allgemein spielt die Religion eine gewichtige Rolle. Nicht nur wird jede Beerdigung in einer anderen Form – von jüdisch über niederländisch-reformiert bis katholisch – ausgerichtet. An ihren Würdenträgern lässt Galgut kein gutes Haar. Der eine Pfarrer ist geldgierig und hat Blutschande betrieben, der andere hält sich nicht an das Beichtgeheimnis. Verstärkt sich mit dem Verlauf des Romans der ironische Ton, sind die Beschreibungen der Kirche als Institution und ihrer höchsten Vertreter oft nur beißender Zynismus. Die Suche nach einem sympathischen Helden führt unweigerlich zu Amor, die als einzige einen Charakter und Herz beweist. Sie ist es, die immer wieder die Familie an das Versprechen erinnert und gar mahnt, von dieser dadurch auch als wunderlich und befremdlich wahrgenommen wird. An dem hohen finanziellen Erbe zeigt sie selbst kein Interesse, sie hat als einzige einen Job und arbeitet nach ihrer Rückkehr nach Südafrika als Krankenschwester, viele Jahre davon auf einer HIV-Station, wo sie dem Tod alltäglich begegnet. Ihr Leben ist ruhelos, sie lebt in verschiedenen Städten, hat mehrere Beziehungen, eine längere mit einer Frau. Der Abschied Amors und Salomes im letzten Abschnitt des Buches ist wohl die einzige wirklich berührende Szene des Romans. Für „Das Versprechen“ erhielt der südafrikanische Schriftsteller im vergangenen Jahr den renommierten Booker Prize und damit den höchsten britischen Literaturpreis verliehen, für den er bereits mehrfach nominiert war. Der Luchterhand Verlag zog die deutsche Übertragung um ein gutes Jahr vor; sie war erst für den Herbst 2022 vorgesehen. Galgut, 1963 in Pretoria geboren, zählt zu den namhaftesten Autoren seines Landes. Wie seine Heldin Amor machte er in der Kindheit eine dramatische Erfahrung: Während Amor einen Blitzschlag überlebt, gelang es Galgut, den Krebs zu besiegen. Mit seinem neuesten Roman hat er ein meisterhaftes Buch geschrieben, das große Geschichte und viele kleine Geschichten erzählt, das durch sein vielfältiges Figuren-Ensemble besticht und dessen Hauptthema, das Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß, sich nicht nur auf Südafrika beziehen und weit allgemeiner anwenden lässt. Denn Rassismus ist das Gift vieler Gesellschaften.

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Es ist über vieles zu lesen. Die Familiengeschichte der Swarts ist das durchgehende Leitmotiv, und die privaten Ereignisse vor dem Hintergrund der Apartheid und des Wandels Südafrikas. Dann die Vereinnahmung von leichtgläubigen Menschen durch bigotte, geldgierige Prediger. Die schier unüberwindbare, tief verwurzelte Vorurteile, die Angst vor Veränderung und die Ahnung (Hoffnung für die einen, Befürchtung für die anderen), dass alles bleibt, wie es ist. Dazu immer, manchmal nur im Hintergrund, manchmal bestimmend, ein Staat, der das menschenverachtende Regime abschüttelt und für kurze Zeit wie ein Meteorit am Himmel alles überstrahlt. In dessen gewöhnlichem Alltag sich nach dem Ende der Euphorie zeigt, dass Demokratie und friedliches Miteinander Aufgaben sind, die sich immer wieder aufs neue stellen, mit ungewissem Ausgang. Was uns heute an Meldungen aus Südafrika über Kriminalität, Korruption und über eine auseinanderdriftende Gesellschaft erreicht – auch darüber liest man im Roman. Man folgt also ganz unterschiedlichen Erzählungen, die dazu noch Raum genug geben, vieles davon mit eigenen, persönlichen Bezügen zur Gegenwart zu verbinden; so wird für jede und jeden eine andere Seite des Romanes sichtbar und wichtig werden. Der Roman ist in vier Abschnitte unterteilt, jeder dreht sich um ein einschneidendes Ereignis in der Chronik der Familie, Jahre liegen dazwischen. Ich habe den ganzen ersten Abschnitt, jenen, in dem der Tod von Rachel betrauert wird, gebraucht, um mich in den Stil und die Art der Beschreibung hineinzufinden. Denn die Erzählungen sind nicht durchgehend; sie brechen ab, weil etwas anderes soeben wichtiger geworden ist, setzen sich erst später wieder fort. Alles greift dabei ineinander, vermengt sich für ein Stück des Weges, trennt sich dann für immer oder nur für eine kurze Zeit. Nach dem Beginn, der etwas Geduld erforderte, wurde das Buch für mich ein hin- und mitreißender Roman, voller klug gesponnener Verbindungen und Einblicke auf Kleines und Großes. Einblicke, wie sie nur jemand geben kann, der das Land in seinem Inneren kennt und der es versteht, Menschen zu beobachten. Die klare Sprache ist ein zusätzlicher Faktor, der dieses Buch für mich derart überzeugend macht (woran auch die Übersetzung durch Thomas Mohr einen bedeutenden Anteil hat). Wie die Biografien der Mitglieder der Familie Swart diese Menschen ganz großartig beschreiben, wie sich aus dem Verhältnis der Menschen zueinander immer wieder spannende, überzeugende Erzählungen voller tiefer Einblicke ergeben. Damon Galgut beschreibt alles so realistisch, so direkt aus dem Leben gegriffen, mit Details, die beinahe alles erfassen, was Menschen ausmachen kann.

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Zerfall

Von: Barbara Busch

21.01.2022

2020 ging der wichtigste britische Literaturpreis, der Booker Prize, vergeben für das beste Buch in englischer Sprache, an einen Debütroman: "Shuggie Bain" von Douglas Stuart. Der Preisträger des Jahres 2021 war dagegen bereits zum dritten Mal nominiert: Damon Galgut, geboren 1963 in Südafrika. Für seinen Roman "Das Versprechen" bekam er den Preis nun erstmals zugesprochen und reiht sich ein in eine Serie afrikanischer Preisträger 2021: Literaturnobelpreis für Abdulrazak Gurnah, Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für Tsitsi Dangarembga und Prix Goncourt für Mohamed Mbougar Sarr, um drei weitere zu nennen. Vier Jahrzehnte, vier Präsidenten, vier Beerdigungen Im Zentrum von Galguts Roman steht die weiße südafrikanische Mittelstandsfamilie Swart. Nach vier ihrer fünf Mitglieder sind die vier Teile benannt: „Ma“, eigentlich Rachel, „Pa“, eigentlich Herman Albertus, genannt Manie, „Astrid“ und „Anton“. Jeder Teil spielt in einem anderen Jahrzehnt, beginnend 1986 in der Endphase der Apartheit unter Frederik Willem de Klerk. Die jüngste Tochter der Swarts, die dreizehnjährige Amor, wird zur Beerdigung ihrer Mutter aus dem Internat abgeholt. Es gibt Unruhen in den Townships, der Ausnahmezustand sowie eine Nachrichtensperre sind verhängt und die Familie versammelt sich an ihrem Wohnsitz, einer Farm außerhalb Pretorias. Salome, die schwarze Hausangestellte und hingebungsvolle Pflegerin der Mutter in ihren letzten Lebensmonaten, bleibt aus Rassegründen von der Trauerfeier ausgeschlossen. Für Amor beginnt nach dem Tod der Mutter ein Kampf für die Umsetzung eines Versprechens, das der Vater seiner Frau kurz vor deren Tod gegeben hat: Salome soll für ihre Verdienste das kleine Haus erhalten, in dem sie mit ihrem Sohn lebt. Auch in den weiteren Teilen, die nach dem Ende der Apartheit unter der Präsidentschaft von Nelson Mandela 1995, unter Thabo Mbeki 2004 und Jacob Zuma 2018 spielen, kommen die verbliebenen Familienmitglieder in der zunehmend herunterkommenden Farm zu Beisetzungen zusammen. Jede findet nach einem anderen Ritus und unter anderen gesellschaftlichen Vorzeichen statt. Parallel zu den politischen Umwälzungen im Land zerfällt die Familie und immer steht das unerfüllte Versprechen im Raum, das aller Leben beeinflusst. Wenig Grund für Optimismus Analog zur derzeitigen politischen Situation Südafrikas durchzieht auch den Roman vorwiegend Tristesse, scheitern doch alle Figuren an den eigenen Träumen, am Alkohol, an den sich ändernden Lebensbedingungen im Land, an ihren Versprechen – nicht nur an dem für Salome – oder verschreiben sich einem spirituellen Heilsbringer. Trotzdem gibt es gleich ein ganzes Bündel von Gründen, warum ich "Das Versprechen" so überaus gerne gelesen habe und mich über die Wahl der Jury freue. Die Idee, die Handlung anhand von Beerdigungen zu erzählen, ist ebenso originell wie brillant umgesetzt, die Verbindung zwischen der politisch-gesellschaftlichen Entwicklung Südafrikas und der Familiengeschichte funktioniert bestens und die Ambivalenz der Familienmitglieder und Nebenfiguren ist, soweit sie als Schwarze nicht „unsichtbar“ bleiben, stimmig herausgearbeitet. Besonders beeindruckt hat mich die außergewöhnliche Erzähltechnik mit einem Bewusstseinsstrom im Präsens in einer stimmlichen Kakophonie wechselnder Perspektiven. Dazwischen werden mal die Figuren, mal die Leserinnen und Leser direkt angesprochen und es wird nicht mit Humor, Ironie und Sarkasmus gespart. Ein Roman also, der mir nicht nur Spaß gemacht und mich unterhalten, sondern mir die neuere Geschichte Südafrikas nähergebracht hat: "Denn die Familie Swart hat so gar nichts Besonderes oder Bemerkenswertes, o nein, sie gleicht der Familie von der Nachbarfarm und der Nachbarfarm der Nachbarfarm, nur ein gewöhnlicher Haufen weißer Südafrikaner, und wenn du es nicht glaubst, brauchst du nur einmal darauf zu achten, wie wir sprechen. […] Unsere Seele ist irgendwie verrostet, regenfleckig und verbeult, und das hört man unserer Stimme an." (S. 278)

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Romane, die sich mit den politischen Verhältnissen in Südafrika auseinandersetzen, gibt es viele, aber keiner ist so brillant wie „Das Versprechen“, der zurecht vergangenes Jahr mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde. Über einen Zeitraum von über drei Jahrzehnten nimmt uns der südafrikanische Autor Damon Galgut mit in eine wohlhabende Farmersfamilie und zeigt uns deren allmählichen Verfall, der ursächlich mit einem nicht eingelösten Versprechen einhergeht. Ende der achtziger Jahre, die Apartheid neigt sich, zumindest auf dem Papier, dem Ende zu. Die Swarts, weiße Oberschicht, Vater, Mutter und drei Kinder. Rachel, die Mutter, liegt im Sterben und ringt ihrem Ehemann das Versprechen ab, der schwarzen Frau, die sie während ihrer Krankheit hingebungsvoll gepflegt hat, das Häuschen auf dem Land der Familie, in dem sie lebt, zu übereignen. Einzig Amor, die jüngste Tochter, ist Zeugin dieses letzten Wunsches und ein Leben lang von diesem Schuldgefühl des nicht eingehaltenen Versprechens geplagt, denn so schnell es gemacht wird, so schnell wird es auch schon vergessen. Und wie der Putz von den Wänden des einst herrschaftlichen Wohnsitzes bröckelt, so zerfällt auch die Familie in den kommenden Jahrzehnten und löst sich allmählich auf. Es dauert über dreißig Jahre, bis das Versprechen eingelöst und der Wunsch der Sterbenden erfüllt wird. Die Beschreibung dieser dysfunktionalen Familie auf dem Weg zwischen Schuld und Vergebung steht stellvertretend für die südafrikanische Post-Apartheid Gesellschaft. Beide eint die Suche nach Erlösung, wissend, dass sie ihre Versprechen von Freiheit, Gerechtigkeit, Versöhnung und Gleichheit nicht eingelöst haben. Über dreißig Jahre sind seither vergangen, und dennoch sind die großen Veränderungen in der Regenbogennation bis heute ausgeblieben. Nichts ist gut in Südafrika.

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