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Wladimir Kaminer wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit 1990 in Berlin. Mit seiner Erzählsammlung »Russendisko« sowie zahlreichen weiteren Bestsellern avancierte er zu einem der beliebtesten und gefragtesten Autoren Deutschlands.
Wie könnte man die kalte Jahreszeit besser genießen als mit herzerwärmenden Geschichten von Wladimir Kaminer! Sie reichen von Begegnungen mit dem Kremlweihnachtsmann über die russische Variante eines Stollenrezepts bis zu den Verwandtschaftsbeziehungen von Nikolaus und Väterchen Frost. Außerdem geht es um 57 Haselnüsse für Aschenbrödel, die Rettung des Christkinds, Schwanensee, Wintersport und vieles mehr. Dieser Band versammelt Wladimir Kaminers schönste Erzählungen rund um den Winter – das perfekte Mittel gegen kurze Tage und lange Nächte weit über Weihnachten und Silvester hinaus ...
Wladimir Kaminer zu 25 Jahren »Russendisko« und seinen (Zeit)reisen durch die deutsche Gegenwart
Wladimir Kaminer, Deutschlands erfolgreichster Autor mit russischen Wurzeln, feiert sein 25-jähriges Jubiläum als Schriftsteller mit einem neuen Buch und einer großen Lesereise. Im Zuge der Perestroika verschlug es den studierten Dramaturgen 1990 nach Ostberlin. In der Nachwendezeit brachte Kaminer mit kultigen Bestsellern wie »Russendisko« und »Ich bin kein Berliner« frischen Wind nicht nur in die Literaturszene der hippen Hauptstadt. Mit seinem untrüglichen Sinn für Humor seziert der gebürtige Moskauer bis heute die deutschen Befindlichkeiten und Befangenheiten. Die Fragen stellte Olaf Neumann.
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Herr Kaminer, Sie sind 1990 – kurz vor dem Ende der Sowjetunion – nach Ostberlin emigriert. Was wussten Sie damals über die DDR?
Kaminer: Nicht viel. Ich plante auch nicht, in der DDR zu bleiben. Es war die Zeit, in der die Sowjetunion von innen ausgehöhlt wurde. Das Land, in dem ich geboren wurde und aufgewachsen bin, war schon immer sehr aggressiv uns Bürgern gegenüber. Meine Generation durfte nirgendwo hinreisen und auch nicht das machen, was sie wollte. Aber durch die neue Politik von Gorbatschow hat diese fremde Macht für kurze Zeit ihre Aggressivität eingebüßt. Plötzlich war da ein Spalt frei. Also nichts wie weg in die freie Welt, dachte man. Und mit der DDR passierte genau dasselbe. In den politischen Eliten des Landes existierte sie noch, aber draußen auf der Straße gab es keine DDR mehr.
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Sie sind zu einer sehr spannenden Zeit nach Deutschland gekommen. In Ostberlin war noch die friedliche Revolution im Gange. Anschließend haben Sie die Wiedervereinigung miterlebt. Wie war das für Sie?
Kaminer: Ich habe keine Revolution gesehen. Am ersten Tag sah ich überall feiernde Menschen und hupende Autos. Wir dachten, die Deutschen würden noch immer den Fall der Mauer feiern, weil das so ein großes Ereignis war. Aber wir waren ja erst im Juni oder Juli 1990 angekommen. Dann haben wir festgestellt, da war gerade Fußball-Weltmeisterschaft. Während wir im Zug nach Berlin saßen, haben die Deutschen irgendwo in Italien gegen Argentinien gewonnen. Und das feierten sie gerade. Wir haben in mehreren Kneipen am Bahnhof Lichtenberg Bier spendiert bekommen, und ich dachte: »Mensch, sind das gastfreundliche Leute hier. Eigentlich können wir gleich bleiben!« Vorerst waren wir in einer Unterkunft des Roten Kreuzes, davon hatten uns Vietnamesen erzählt. Wir waren hauptsächlich im Osten unterwegs, sind in den Westen nur einkaufen oder zum Jobben gegangen.
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In der DDR wurden Sie als Volksminderheit jüdischer Nationalität anerkannt. Für Ihre erste offizielle Wohnung in Ostberlin zahlten Sie lediglich 18,50 Mark Miete. Ist Ihnen der deutsche Sozialismus anfangs wie eine heile Welt erschienen?
Kaminer: Also, die erste Wohnung in Prenzlauer Berg war für umsonst, die haben wir besetzt. In der Gegend wohne ich noch heute. In der besetzten Wohnung lag noch die Zahnbürste des Vormieters, so schnell war der weg. Der ganze Stadtteil Prenzlauer Berg stand leer, viele Ostdeutsche trauten den politischen Veränderungen nicht. Sie dachten, die Mauer ist heute weg, was morgen ist, weiß man nicht. Also hauten sie in den Westen ab. Gleichzeitig kamen junge Leute aus verschlafenen Provinznestern im Westen nach Ostberlin und haben dann die neu entstandenen Freiräume für sich genutzt. In jedem zweiten Haus bildeten sich Diskussionsforen, Clubs, Bars oder Theatergruppen. Viele machten Bewegungstheater, damit man auch als Ausländer ohne Sprachkenntnisse mitspielen konnte.
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Und da haben Sie mitgemischt?
Kaminer: Ja. Ich war 23 und konnte kein Deutsch, das hat schon gut gepasst.
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In Berlin haben Sie Ihre heutige Ehefrau Olga kennengelernt, dort sind Ihre Kinder Sebastian und Nicole geboren, und dort lebt auch Ihre Mutter. Wurde die deutsche Hauptstadt zu Ihrem persönlichen Schicksalsort?
Kaminer: Berlin lehrt Demut. Es ist eine zutiefst demütige Stadt. Ich sehe hier ein bisschen die Weisheit der Menschheit. Berlin weiß, alles kommt und geht. Man muss sich hier nicht gleich so aufregen; morgen ist schon wieder alles anders. Schau dir das einfach an und mach das Beste draus – so würde ich Berlin zusammenfassen.
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Sie haben die großen gesellschaftlichen Veränderungen in Berlin hautnah miterlebt.
Kaminer: Naja, aber die Kastanienbäume, die vor meinem Haus blühen, sind immer noch dieselben wie vor 35 Jahren.
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Wie wurden Sie zum Geschichtenerzähler?
Kaminer: Ich habe schon immer gerne Geschichten erzählt. Für mich ist das Gespräch die perfekte Erlebenssituation. Ich wollte mich austauschen über den Sinn und Unsinn des Lebens und so schnell wie möglich Kontakt aufnehmen mit den Einheimischen. Deshalb bin ich gleich nach den Deutschkursen in einem Theater gelandet. Da Theaterarbeit hauptsächlich aus Quatschen besteht, konnte ich noch mehr die Feinheiten der deutschen Sprache erlernen. Es war ein sehr in sich gekehrtes Theater, wo man viel Zeit in Gesprächsrunden verbrachte. Später wurde ich von verschiedenen Clubs und Lesebühnen zu Vorträgen eingeladen.
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Über welche Themen haben Sie referiert?
Kaminer: Hauptsächlich über meine Heimat, die Sowjetunion. Weil diese Episode abgeschlossen war, konnte man über diese Entwicklung hervorragend philosophieren. Ich habe über die Sowjetunion als Kastengesellschaft erzählt. Es gab bei uns zum Beispiel tausende Kosmonauten. Ins All geflogen sind vielleicht 20 oder 30 von ihnen. Und die anderen führten ein gutes Leben als Kosmonauten auf der Erde in einer Kosmonautenstadt. Meine Eltern hatten in der Nähe eine Sommer-Datscha gemietet. Normale Menschen durfte da nicht rein, aber wir Kinder ab und zu schon. Ich habe dort die Kinder der Kosmonauten kennengelernt, die logischerweise auch nirgendwohin geflogen sind.
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Als Schriftsteller muss man ja die Sprache der Zeit und der Gesellschaft sprechen. Als »Russendisko« erschien, hatten Sie da das Gefühl, endgültig in Deutschland angekommen zu sein?
Kaminer: Ganz ehrlich, ich fühle mich auch heute nirgendwo angekommen. Durch meine Biografie bin ich als Fremder auf die Welt gekommen. Ich fühlte mich in der Sowjetunion nirgendwo zugehörig. Auch dadurch, dass wir Juden waren. Diese ganze Gesellschaft schien mir total fremd, mein Bezirk, meine Schule. Ich betrachtete mich selbst immer als Außenseiter und konnte auch gut mit anderen Außenseitern. Ich habe in meinem Leben nie irgendeinem Verband, einem Verein, einer Partei oder sonstiger Organisation angehört. In Deutschland konnten wir keine doppelte Staatsbürgerschaft bekommen. Um Deutscher zu werden, hätte ich zuerst die russische Staatsbürgerschaft beantragen und anschließend auf sie verzichten müssen. Dafür hätte ich aber zurückfahren müssen. In Russland verfügte ich aber über keinen Wohnsitz mehr.
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Wie sind Sie mit dieser schwierigen Situation umgegangen?
Kaminer: Gar nicht. Ich habe das einfach ausgeblendet. Ich bekam dann einen blauen »Alien Pass« mit zwei schwarzen Streifen. Damit habe ich hier zehn oder 15 Jahre sehr gut gelebt – und Witze darüber gemacht à la »Guck, wir sind Aliens, uns geht nichts an!« Das entsprach sehr meinem Lebensgefühl. Nach fünf Jahren musste man den »Alien Pass« verlängern, aber die Ausländerbehörde hat mir das irgendwann verweigert: »Herr Kaminer, Sie sind schon so lange hier. Sie müssen jetzt einen normalen Pass beantragen!« Ich habe denen erklärt, warum das nicht geht. Da ich als Geflüchteter noch in der DDR anerkannt worden war, durfte man mich nicht zurückschicken. Eine interessante Gesetzgebung! Also drückten sie ein Auge zu bei der Frage, ob ich eine andere Staatsangehörigkeit besäße und gaben mir die deutsche. Zur Sprachprüfung sollte ich aus meinem eigenen Buch »Russendisko« vorlesen. Das war sehr nett von ihnen.
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In Ihrem Bestseller »Ich bin kein Berliner. Ein Reiseführer für faule Touristen« von 2007 baten Sie die Leser augenzwinkernd, Sie zum Stadtoberhaupt zu wählen. Was würden Sie als erstes tun, wenn Sie heute Bürgermeister der Hauptstadt wären?
Kaminer: Die Kommerzialisierung kann diese Stadt irgendwann erdrücken. Gerade das, womit sie für Berlin werben – eine Stadt der Jugend, eine Partystadt, die Menschen gute Laune macht – kann man nicht so verkaufen wie eine Ware in einem Discounter. Ich würde als Bürgermeister diese Stadt der Jugend überlassen. Denn sie ist die Zukunft, sie muss massiv mitgestalten. Man sollte aufhören, diese Parkhäuser, Gewerberäume und spekulativen Objekte zu bauen, die dann leer stehen. Die Menschen leben jetzt anders. Aber es ist nicht alles schlecht hier. Ich versuche als Autor zu verstehen, was hier eigentlich passiert, also nicht nur in Berlin. So wird das Leben in dieser Stadt und in diesem Land selbst zu Literatur. Bürgermeister kommen und gehen, Bücher bleiben.
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In Berlin haben Sie 1996 die berühmt-berüchtigte »Russendisko« erfunden, die Sie nach Beginn des russischen Angriffskriegs in »Ukrainedisko« umtauften. Sie hat nichts mit dem gleichnamigen Buch zu tun.
Kaminer: Alles begann am Geburtstag meiner Frau. Sie wollte nicht zu Hause feiern, sondern bei unseren Freunden im Café Zapata im Kulturhaus Tacheles. Da haben wir dann Musik aufgelegt, und es kamen viele Menschen vorbei. Auch Passanten schauten zufällig rein und fragten, was hier los sei. »Ah, Russendisko, alles klar!« Dieser Begriff wurde auf der Straße geboren.
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Diese Partyreihe kommt heute »nur mit ukrainischen Hits und in ukrainischer Sprache« daher. Wovon handeln die ukrainischen Lieder, die Sie am liebsten spielen?
Kaminer: Die Umbenennung war eine politisch gemeinte Geste aus Protest gegen den Krieg. Einen Krieg in Europa im 21. Jahrhundert zu führen, ist in meinen Augen das schlimmste Verbrechen überhaupt. In Wahrheit ist diese Disco so geblieben, wie sie immer war. Mindestens die Hälfte der Stücke stammte schon immer aus der Ukraine: tanzbare, schnelle, lustige Musik mit vielen Blasinstrumenten. Darin sind die Ukrainer unschlagbar. Schon lange vor dem Krieg hatten DJ Gurzhy und ich die Platte »Ukraine do Amerika« herausgebracht. Viele der Texte handeln von Liebe. Das ist kein großer Unterschied zu russischen Liedern.
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Sehen Sie heute noch Gemeinsamkeiten zwischen Russen und Ukrainern?
Kaminer:Nun, das russische Volk in seiner Mehrheit sagte nie, dass es die Weltherrschaft erlangen und Kriege gegen Nachbarn führen wollte. Die Mehrheit der Russen sind normale Menschen, die nie daran gedacht hätten, jemals Krieg gegen die Ukraine zu führen. Das ist alles Putins autokratischem Regime zu verdanken. Solche Fehlschritte passieren, wenn die Regierung keinen Kontakt mehr mit dem Volk hat. Dieser Krieg ist für Russland ein Griff ins Klo. Ich weiß nicht, wie Putin da wieder rauskommen will, denn er wird ihn nicht gewinnen. Der einzige Krieg, den er gewinnen kann, wäre der gegen Dissidenten und Andersdenkende im eigenen Land. Also gegen Unbewaffnete. Und diesen Krieg führt er bereits. Die Zahl der politischen Gefangenen in Russland steigt rapide. Das macht mir große Sorgen.
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Ihr neues Buch »Das geheime Leben der Deutschen« führt den Leser in die ostdeutsche Provinz. Dort kommen Sie sich vor wie der »letzte russische Tourist«. Machen Sie dort typische Touristensachen?
Kaminer: Ich wohne ja zum Teil dort, in Nordbrandenburg. Es hat sehr viel zu bieten. In Rheinsberg und Merseburg gibt es fantastische Schlösser. Ich habe eine innige Beziehung zu meinem Dorf entwickelt und hoffe, die Menschen dort zu verstehen. Wir können über alles reden außer über Politik. Die Leute dort mögen die Grünen nicht, das muss man wissen. Als mein Dorf gewählt hat, hat von 118 Wahlberechtigten einer Grün gewählt. Und den suchen sie noch immer.
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In dem Buch machen Sie sich auch Gedanken über das Thema Integration. Was müsste in Deutschland anders laufen, damit die Eingliederung in Kultur und Gesellschaft besser funktioniert?
Kaminer: Das ist eine schwierige Frage. Wir haben soziale Programme, die helfen, dass die Menschen nicht in Armut versinken. Das, was bei uns Armut ist, gilt in anderen Ländern schon als Mittelstand. Deswegen halten viele Ausländer Deutschland für ein Paradies. Um gerechter zu werden, müsste Deutschland eigentlich verarmen. Aber das wäre eine Sackgasse. Man muss die Menschen, die zu uns kommen, mit allen Mitteln dazu animieren, etwas Eigenes zu erschaffen. Dadurch werden sie sich auch die Achtung der Bevölkerung und die Autorität verdienen, die man hier unbedingt braucht. Wenn man gerade in Brandenburg einmal schaut, wer da überhaupt noch arbeitet, dann sind das sehr viele Zugezogene.
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Wie hat sich Ihr Bild von Deutschland durch die Begegnungen mit Zugewanderten verändert?
Kaminer: Ich kam als Ausländer auf die Welt. Ich habe den Blick eines Fremden und glaube, dass alle Menschen unterschiedlich sind. Deutschland ist ein unglaublich vielfältiges Land. Zwischen Bayern und Sachsen-Anhalt liegen Welten. Meine Lesereise mit diesem Buch wird sicher lustig, weil die Menschen am liebsten über andere lachen.
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Ein typisch deutsches Wort ist »Heimweh«. Wie stark plagt Sie dieses Gefühl?
Kaminer: Heimweh kenne nicht, ich bin ein Globalist, fliege um die Welt und gebe im Internet Kommentare ab: »Das Bett war gut, das Personal leicht angetrunken. Fünf Sterne«. So bin ich ein bisschen. Nur, dass ich ausschließlich positive Kommentare schreibe.
Im Sommer 2000 erschien mit »Russendisko«Wladimir Kaminers inzwischen legendäre erste Erzählsammlung.
Mit vielen weiteren Bestsellern, wie »Ich bin kein Berliner«und »Mein Leben im Schrebergarten« ist Kaminer inzwischen seit einem Vierteljahrhundert der wohl beliebteste Beobachter und Chronist deutscher Gemütsverfassung.