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Rezensionen zu
Das Zimmer

Jonas Karlsson

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"Wie hatte der Architekt es nur angestellt, so effektiv ein Zimmer zu verbergen, das ganz frech direkt vor der Nase aller Angestellten lag? Und wer hatte sie dazu gebracht, sich so glaubwürdig zu benehmen, als existierte es nicht?" Beckett meets Kafka! Büroroman trifft Psychothriller! Dem Schweden Jonas Karlsson ist ein herrlich absurder und zugleich düster erschreckender Roman gelungen, den ich in einem Atemzug durchgelesen habe. Der Hauptprotagonist Björn tritt eine neue Stelle in einem Großraumbüro eines Amtes an. Sein vorheriger Chef riet ihm zu einem Wechsel, um weiterzukommen, um bessere Aufstiegschancen zu finden (oder um ihn los zu werden?). Am neuen Arbeitsplatz wird Björn gleich klar, dass er es mit Kollegen zu tun hat, die ihm nicht das Wasser reichen können. Er findet viel auszusetzen an den Arbeitsmethoden und an der Geselligkeit der anderen. Mit seiner durchstrukturierten Art zu arbeiten, wird er es schnell weit bringen, denkt er. "Mit der Zeit kam ich mithilfe meiner Fünfundfünfzig-Minuten-Phasen in einen festen Rhythmus, und die Arbeit ging mir leicht von der Hand. Ich bemühte mich, mein Schema einzuhalten und mich nicht mitten in einer Phase stören zu lassen, ganz gleich, ob es nun um Kaffeepausen, Small Talk, Telefonate oder Toilettenbesuche ging." Als er die Toilette sucht, entdeckt er ein Zimmer, einen wohl unbenutzten Büroraum, der ihm zukünftig als Rückzugsort für kleine Pausen dient. Hier kann er abschalten und auftanken. Den Kollegen erscheint Björn jedoch von Tag zu Tag merkwürdiger – einer, der sich nicht in den Kreis einfügt, ein komischer Außenseiter. Eines Tages fragt ihn sein Schreibtischkollege, warum er zwischendurch immer so seltsam abwesend zwischen Toilette und Fahrstuhl herumstehe und da zeigt es sich, dass die Kollegen dieses Zimmer nicht sehen können, dass es dieses Zimmer gar nicht gibt? Björn jedoch unterstellt den Kollegen Mobbing, sie hätten sich gemeinsam gegen ihn verschworen. Der Chef, von den Mitarbeitern, die ihren Kollegen inzwischen für verrückt halten, alarmiert, legt Björn in einem Gespräch nahe, einen Psychiater aufzusuchen und keinesfalls mehr "das Zimmer" aufzusuchen. Und doch ... Björn, dem bisher nur stupide Routinearbeiten auferlegt wurden, wagt es, die Akten eines überforderten Kollegen an sich zu nehmen und zu bearbeiten, effektiv und innovativ, und zwar immer verbotenerweise im "Zimmer", nach Dienstschluss. Dies bleibt nicht unbemerkt. Dann scheint sich das Blatt für Björn zu wenden ... Im Laufe der Geschichte glaubt der Leser immer mehr, dass Björn unter einer Persönlichkeitsstörung leidet und von zwanghaften Gedanken angetrieben wird. Irgendwann weiß man jedoch nicht mehr, was Wahnsinn ist und was Wirklichkeit. Die Auslegung bleibt dem Leser selbst überlassen ... "Das Zimmer" ist ein geschickt konstruierter Roman, der zudem einen schonungslosen Blick auf unsere heutige Arbeitswelt wirft. Der Schwede Jonas Karlsson ist Schauspieler und etablierte sich mit diesem Roman auch als Schriftsteller.

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Die moderne Arbeitswelt pendelt zwischen Hektik und Entspannung, sie ist vielfach vollkommen amorph, verliert feste Strukturen und Arbeitsabläufe. Als Arbeitnehmer muss man flexibel sein, sowohl beim Arbeitsplatzstandort, als auch im Arbeitsprozess. Eine stete Unruhe, die nicht alle Beteiligten bewältigen können. Björn hat arge Probleme, sich in dieser ungeordneten Welt zurecht zu finden. Er hält sich strikt an seinen eigenen 55-Minuten-Rhythmus und bemüht sich erst gar nicht um zwischenmenschlichen Kontakt. Zugleich erkennt er für sich die Aufstiegschancen innerhalb der Strukturen. Björn ist der Hauptprotagonist und Icherzähler in Jonas Karlssons Roman Das Zimmer. Er wurde erst kürzlich von seinem alten Chef in die neue Regierungsbehörde weggelobt – er fühlte sich ohnehin unterfordert -, in der er sich zunächst unauffällig verhält, keine Fragen stellt, schließlich zeuge dies nur vom eigenen Unwissen, wenig Kontakt zu den Kollegen sucht, sie sich jedoch genau anschaut und sie analysiert. Aufgrund seiner eigenwilligen, belehrenden Art eckt er bei den Kollegen an. Er ist besserwisserisch, provokativ und zugleich faszinierend. Er verachtet die aus seiner Sicht chaotische Arbeit der Kollegen und all das zwischenmenschliche Geplänkel. Das trennwandlose Großraumbüro mit den 23 Angestellten ist ein Biotop der Arbeitswelt, mit vielfältigen Charakteren, von denen sich die meisten mit den Begebenheiten arrangiert haben. Und genau das stößt Björn sauer auf. Er despektiert die anderen Mitarbeiter. Doch irgendwann spürt er ein Zimmer auf, deren Entdeckung alles verändert. Die ersten Male geht Björn eher zufällig, ohne konkreten Grund hinein. Und vorläufig macht er sich auch keine weiteren Gedanken zu dem Raum. Erst mit der Zeit erkennt er, wie wohl er sich darin fühlt: Alles ist strukturiert, unverrückbar und geordnet. Sogleich kommt dem Leser die Assoziation zur autistischen Art Sherlocks, dem so eigenwilligen wie genialen Detektiv aus der gleichnamigen BBC-Serie. Das Zimmer verschafft Björn Ruhe vor der Unordnung des Büros. Es ist die Flucht in eine eigene, abgeschiedene Welt. Eine Traumwelt. Es sind diese Momente, welche den Bezug zu Franz Kafkas Werken und Motiven nahelegen: die “Traumlogik”, einhergehend mit den Türen. Sie spielen auch für Björn eine wichtige Rolle. Während er die zu bearbeitenden Vorgänge als äußerst irrelevant abtut, bekommt das Berühren der Tür dieses speziellen Zimmers schnell eine herausgehobene Bedeutung. Und auch die Ruhephasen in seiner Traumwelt, in diesem Zimmer, sind die einzige Möglichkeit, klar zu denken, ganz ohne all die Ablenkung vom Wesentlichen. Hingegen scheinen die anderen Mitarbeiter das Zimmer noch gar nicht bemerkt zu haben – aus Björns Sicht ist dies auch vollkommen logisch, immerhin verfügt nur er über einen solch wachen Geist, das Zimmer entdecken zu können. So vermutet er, dass es sich womöglich um ein Geheimzimmer handelt. Als Björn einige seiner Kollegen mit in das Zimmer nehmen möchte, halten sie ihn für verrückt und leugnen die Existenz des Zimmers. Sie beäugen sein Verhalten mit Argwohn. Schnell dreht sich alles um die Frage, was Wirklichkeit ist? Ist das Zimmer nur Björns Einbildung, oder können die Anderen die Wirklichkeit einfach nur nicht erkennen? Sind sie vielleicht nur funktionierende, leere Hüllen, die einzig den Befehlen des Systems folgen, ohne die Welt dahinter wahrzunehmen? Für Björn ist die Sache klar: “Ich merkte, wie einsam man sich fühlt, wenn man ständig der Einzige ist, der in dieser leicht zu täuschenden Welt die Wahrheit sieht.” Die Stimmung in der Abteilung kippt, hin zu offener Abneigung gegenüber Björn. Ein von Karl, dem Abteilungsleiter, anberaumtes Gruppengespräch zur Klärung der Situation läuft komplett aus dem Ruder. Da Björn den Kollegen Angst mache, verbietet Karl ihm den Zutritt zu dem – aus seiner Sicht ohnehin nicht existenten – Zimmer und weist ihn an, zum Psychiater zu gehen. Doch Björn kann nicht von dem Zimmer fernbleiben. Der Aufenthalt darin ist für ihn wie eine Droge, die ihm Entspannung und ein Entkommen aus der wahrgenommenen Welt, hinein in seine Traumwelt verschafft. Das Zimmer bestimmt ständig seine Gedanken und seinen Willen. Er sehnt den nächsten Besuch herbei, wie ein Drogensüchtiger den nächsten Schuss, hinein ins vollendete, illusionierte Glück. Und bleibt dieser Trip aus, bekommt er Entzugserscheinungen. Eines Abends, als er zu Hause dem Unwetter zuschaut, muss Björn weinen, ein Gefühl, das er seit Jahren nicht mehr kannte. Hier nutzt Jonas Karlsson auf raffinierte Weise das Motiv der Tränen, um seiner Geschichte eine durchaus unerwartete Wendung zu geben. Urplötzlich erkennt Björn, wie verrückt er sich all die Zeit verhalten hat. Seine Tränen hatten eine reinigende Wirkung auf seinen Geist. Das Motiv wird vielfach in der Literatur verwendet, bereits die Brüder Grimm haben in ihrem Märchen Rapunzel davon Gebrauch gemacht, indem die Tränen den blinden Königssohn wieder sehend machten: “Da ging er darauf zu, und wie er herankam, erkannte ihn Rapunzel, fiel ihm um den Hals und weinte. Zwei von ihren Tränen aber benetzten seine Augen, da wurden sie wieder klar, und er konnte damit sehen wie vorher.” Jonas Karlsson hat mit Das Zimmer eine faszinierende Geschichte über die Groteske der Arbeitswelt geliefert, wie ein einziger Rausch – mit den gleichen Entzugserscheinungen, wenn er wieder vorbei es. Es ist einer dieser verrückten Träume, an den man sich am nächsten Morgen noch erinnert und der den Geist auch nach dem Erwachen noch gefangen hält. Wie ein Ort, zu dem man immer wieder zurückkehren muss.

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