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Rezensionen zu
Über Menschen

Juli Zeh

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Ein Blick in den Spiegel

Von: tinaliestvor

04.09.2021

Dora muss raus. Raus aus Berlin und raus aus ihrer verstockten Beziehung zu Robert. Robert hat zu Greta gefunden und nachdem ihm hier die Puste ausgeht, kommt Corona als sein neues Thema gerade recht. Dora kann ihren Job als Marketing-Expertin selbstverständlich im Homeoffice erledigen, aber Mitte Berlin, anfangs noch interessant und spannend, wird es mit Robert zum reinsten Hindernislauf. Kurzentschlossen kauft Dora heimlich in Bracken ein Häuschen auf dem Land. Mit dem Mietwagen geht es inklusive Jochen, der Hündin, ab ins Grüne. Wo sich Fuchs und Hase noch in ihrer natürlichen Umgebung gute Nacht sagen, lebt Dora den reinsten Minimalismus. Ohne Möbel kommt Dora klar und kann ihre laufenden Projekte in der Agentur endlich in Ruhe und in ihrem Rhythmus fertigstellen. Eingewöhnt beginnt Dora ein neues Projekt. Der verwilderte Garten braucht ihre Aufmerksamkeit und der erste Nachbar zeigt ihr nach einiger Plackerei mit großem Gerät, wie es richtig geht. Der Nachbar Grote entpuppt sich als Nazi und Menschenfreund. Dora findet, egal wo hin sie in Bracken sieht, Zwiespalt. Als Franzi, die Tochter von Grote, von ihrer nach Berlin geflüchteten Mutter im Bauwagen abgeladen wird, entsteht aus ferner Nachbarschaft ein Hauch von Freundschaft. In „Über Menschen“ kommt man nicht umhin, sich irgendwie selbst wiederzufinden. Kleinkarierte Dorfbevölkerung trifft auf junge weltverbessernde Städterin, kann das gut gehen? Dora beweist im Laufe der Zeit, dass sie großzügig über ihren eigenen Schatten springen kann. Sie fängt an, die Menschen zu hinterfragen und findet so endlich zu sich selbst. Ein Roman, nicht mehr als ein Blick in den Spiegel! Ob Dörfler, ob Städter, Corona-Leugner oder notorischer Weltverbesserer – mit offenen Augen und Ohren findet man seinen Sinn im Leben. Mit wachem Blick auf Fake-News, verdrehten Wahrheiten und hartnäckigem Hinterfragen schafft man es heute, den Überblick über uns selbst nicht zu verlieren und auch mal ein wenig Abstand zum Trend der Selbstoptimierung zu finden.

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Nach "Unter Leuten" gibt es jetzt von Juli Zeh "Über Menschen" zu lesen. Ein Gegenwartsroman, der in die Tiefe geht. Auch Corona spielt darin eine Rolle. Sehr gut geschrieben, sehr lebendige Charaktere beinhaltend und eine Geschichte, die spannend ist und zu Herzen geht. Wir lernen Dora kennen, die mit ihrer kleinen Hündin aufs Land gezogen ist. Ein Tapetenwechsel war geplant - war nötig, sie wollte für sich mehr Freiheit und Raum zum Atmen schaffen. Sie geht also in das idyllische Dörfchen Bracken, im brandenburgischen befindlich. Im Haus gibt es noch keine Möbel, der Garten ist unaufgeräumt, und mit dem Bus in die Kreisstadt zu kommen, gleicht einem schier unmöglichen Unterfangen. Der Nachbar - dargestellt als kahlrasierter Kopf und rechtem Hintergrund sprüht nur so von Vorurteilen. Es ist die Zeit des Lockdowns. Dora möchte raus aus der Großstadt - aber diese Leere im Nirgendwo, ist es das, was sie finden wollte ??? Auch der Abstand von Robert, ihrem Freund, dem Klimaaktivisten ist ein Thema, er wir ihr immer fremder. Wir lernen in dieser Geschichte ein Welt kennen, Doras Welt oder die Welt allgemein, die komplett aus den Fugen geraten ist. Dora versucht mit sich klarzukommen, und in ihrer Umgebung passieren gleichzeitig Dinge, mit denen sie nicht gerechnet hat. Wir lernen ganz unterschiedliche Menschen, die mit dieser neuen Situation alle versuchen, irgendwie, aber anders zurechtzukommen. Schwächen, Ängste, aber auch Stärken sind uns Menschen eigen - davon liest man in diesem Roman. Psychologisch sehr interessant - überhaupt sehr interessant geschrieben - spannend, fesselnd zu lesen - einmalig und rundherum gelungen !!! Absolute Leseempfehlung !!!

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April 2020. Dora steht mit einem rostigen Spaten auf dem Flurstück, welches zu dem alten Gutsverwalterhaus gehört, und gräbt um. Irgendwann soll aus der von Brombeeren und Ahornschösslingen überwucherten Fläche ein Garten werden. Sie ist aufs Land geflohen, nachdem ihr in Berlin alles über den Kopf gewachsen war. Vor allem das Zusammenleben mit Robert war unerträglich geworden. Sie mochte sich nicht länger seinem übereifrigen Reglementierungszwang unterwerfen. Robert, der zum Klimaschützer-Guru avanciert ist, der enthusiastisch seinen Lebensstil ändert, immer bestrebt, nicht nur den eigenen, sondern auch den ´CO2-Fußabdruck seiner Mitmenschen zu reduzieren, aber zu einer Demo mit Greta Thunberg auch mal fliegt. Robert, der sich im Besitz der absoluten Wahrheit wähnt und Zweifel nicht duldet. Der schon ein „Aber“ als Rebellion gegen die Vernunft wertet. Dora sind absolute Wahrheiten suspekt. Sie beharrt auf ihrem Recht, zu zweifeln und nachzufragen. „Sie hat keine Lust auf den Kampf ums Rechthaben und will nicht Teil einer Meinungsmannschaft sein.“ (Seite 21) Es wird immer schwieriger, mit Robert ein normales Gespräch zu führen. Dora empfindet das Zusammenleben mit ihm als anstrengend. Sie lachen kaum noch miteinander. „Dann kam Corona, und Robert entdeckte seine wahre Berufung.“ (Seite 23) Als er versucht, Dora die Spaziergänge mit ihrer Hündin zu verbieten, ist für sie die Grenze erreicht. Sie packt ihre Sachen. Das alte Gutshaus in Bracken in der Priegnitz ist ihr Rettungsanker, ihre Auszeit von all den Problemen, glaubt sie, und muss doch bald feststellen, dass auch ihre Wahrheiten auf den Prüfstand gestellt werden. In einem 200-Seelen-Dorf kann sich keiner in seiner Filterblase verstecken, man muss mit den Nachbarn auskommen. „In Bracken ist man unter Leuten. Da kann man sich nicht mehr so leicht über die Menschen erheben.“ (Seite 128) Im konkreten Fall ist das Gote „Ich bin hier der Dorfnazi.“ (Seite 45), der ihr ungefragt ein Bett baut und Stühle schenkt. Gegenüber wohnt Herr Heinrich, der im Dorf Heini genannt wird und ungeniert Ausländerwitze reißt. Der Doras Flurstück mit der Motorsense in Nullkommanichts von jungen Bäumen befreit. Oder Tom und Steffen, die als Paar zusammenleben und in ihrer Firma portugiesische Studenten (O-Ton Heini: Pflanzkanacken) beschäftigen. Sie mussten sich immer mal wieder mit Gote auseinandersetzen, der lautstark vor ihrem Haus grölt und Drohungen ausstößt. Tom wählt AFD. „Die da oben behandeln uns doch wie Idioten.“ (Seite 127) Stoff genug zum Nachdenken für Dora, die in Berlin immer unter Menschen gleicher oder ähnlicher Gesinnung war. Sie stellt fest, dass auch sie zu Schwarz-Weiß-Denken neigt, und auch, dass ihre Rassismus-Starre angesichts fremdenfeindlicher Witze kein Problem löst. Sehr sympathisch sind ihre Ansätze der Selbstanalyse, ihre Zweifel und Entdeckungen. Die für mich wichtigste Erkenntnis kommt in einem der letzten Kapitel. „Aber dann fallen ihr nur zwei Sätze ein, und die schreit sie heraus: ‚Und ob ich was Besseres bin! Hundertmal besser als du!‘ Gote reagiert nicht, dafür wird Dora etwas klar. Die Worte klingen richtig und es hat sich herrlich angefühlt, sie herauszuschreien. ‚Und ob ich besser bin.‘ Aber auf den zweiten Blick ist dieser Satz die Mutter aller Probleme. Am Ortsrand von Bracken und im globalen Maßstab. Ein Langzeitgift, das die ganze Menschheit von innen zerfrisst.“ (Seite 367) Ich nicke weise und gleichzeitig fühle ich mich ertappt. Es ist dieser Satz, der verhindert, dass wir andere Lebensarten, Herangehensweisen, Vorstellungen akzeptieren und aushalten. Es ist das Dilemma vor allem derer, die alles richtig machen wollen. Juli Zehs Buch ist der Gegenentwurf zu Polarisierung und Besserwissertum. Eine Ermutigung. Die Menschheit als „Existenzgemeinschaft“. Einfach so. Ob das geht? Man kann es ja probieren.

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Wann ist eigentlich unsere Welt so in Unordnung geraten? Diese Frage habe ich mir in letzter Zeit oft gestellt. „Übermenschen“ ist eine Geschichte, die sämtliche Themen aufgreift, die weltweit aktuell sind. Dora hat die Nase voll von Corona und ihrem Freund Robert. Der Umweltaktivist übertreibt es maßlos. Dora kommt sich vor wie in einer Zwangsjacke. Vorbei sind die schönen Abende mit Robert auf dem Balkon. Vergangenheit die stundenlange Gespräche. Nun hat anscheinend *Greta* ihren Platz eingenommen. Wenn die junge Schwedin auch nicht direkt präsent ist, so hat sie dennoch Roberts Gedankenwelt voll im Griff! Dora kauft sich ein altes Haus mit Stuckverzierung in Bracken, Gemeinde Geiwitz. Ohne große Ansage verlässt sie Robert und ihr altes Leben. Möchte einfach nur für sich sein. Einen Garten anlegen und ihr Haus minimalistisch einrichten. Da sie sich eh im Homeoffice befindet, stellt es arbeitstechnisch kein Problem dar. Doch wie war das nochmal mit dem *Alleinsein wollen?* Tja, da hat Dora ihre Rechnung ohne den Nachbarn Gote hinter der Mauer gemacht. Der ist erst mal von ihrer Hündin genervt, die in seinen Beeten rumwühlt. Dann stellt er sich bei ihr vor: >>Ich bin hier der Dorfnazi!<< Vom Umweltaktivisten geflohen um nun die Bekanntschaft mit einem Dorfnazi zu machen, ist nicht gerade das, was Dora erwartet und gewollt hat. Die Grünen und die AFD! Mann, war ich gespannt was da auf mich zukommt. Ich weiß nicht, wann ich das letzte mal bei einem Buch so traurig geworden bin. Der trockene Humor von Juli Zeh ist unschlagbar. Ihr Talent uns Menschen nahe zu bringen, deren eigene politische Einstellung und Lebensweise so gar nichts mit der eigenen zu tun hat, ist wirklich beachtenswert. Erst dachte ich mir was das nun soll. Ein hilfsbereiter Nazi, für den Dora immer mehr Sympathie entwickelt. Wohlgemerkt *Sympathie!* Dies ist kein Liebesroman. Kann man denn für einen Nazi Sympathie entwickeln? Kann man für dessen kleiner Tochter einen Beschützerinstinkt haben? Ja! Das geht alles. Voraussetzung dafür ist, die Bereitschaft Menschen richtig kennenzulernen. Sie in keine Schublade zu stecken. (Was ich in diesem Fall schon gemacht hätte!) Zu begreifen, dass kein Mensch nur schlecht ist. Gutmenschen auch ihre Macken haben. Ich bin ja nicht umsonst so traurig beim Lesen geworden. Glaubt mir, das hat seinen Grund. Ich habe mich oft gefragt, ob Dora Gote den Rassismus austreiben hätte können wenn ….. STOP! Hier wird nicht gespoilert! Nur so viel noch. Ein ungewaschener, in einem Bauwagen hausender Nazi, hat mich tatsächlich berührt. Ich kann es ja selber noch nicht fassen, aber es ist so. Fazit Normalerweise äußere ich mich nicht zu anderen Rezensionen. Aber ich bin der Meinung, dass die Autorin nichts falsch gemacht hat. Ihre Hauptprotagonistin freundet sich mit einem hilfsbereiten Nazi an. Das hat einige Leser*innen schockiert. Im realen Leben gibt es bestimmt auch nette Menschen, von denen wir nicht wissen, dass sie Rassisten und AFD Anhänger sind. Juli Zeh hat uns aufgefordert den *ganzen Menschen* kennenzulernen. Sich nicht nur auf die politische Einstellung zu beschränken. Von mir eine absolute Empfehlung. Danke Juli Zeh.

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Juli Zeh nimmt uns in ihrem 416-seitigen Roman „Über Menschen“, erschienen am 22.03.2021, mit in die Zeit des ersten Corona-Lockdowns im Frühling 2020 und von Berlin ins kleine Straßendorf Bracken, in der tiefsten brandenburgischen Provinz, und erforscht dabei tiefgründig Klischees, aktuelle gesellschaftsrelevante Themen und die menschliche Natur. Vielen lieben Dank @bloggerportal und @luchterhand_verlag für das kostenlose Rezensionsexemplar! Dora zieht mit „Jochen dem Rochen“ (einfach nur genial!), ihrer kleinen Hündin, ins brandenburgische Nirgendwo, wo sie ein stark renovierungsbedürftiges, unmöbliertes altes Gutsverwalterhaus mit verwildertem Garten gekauft hat. Sie sucht ländliche Idylle, Freiheit, Raum zum Atmen und ein Ausbrechen aus ihrem konformistischen Großstadtleben. Berlin im ersten Lockdown der Pandemie mit seinen leergefegten Straßen, die sich spaltende Gesellschaft zwischen Panik und Leugnung, die scheiternde Beziehung zu ihrem verbissenen Freund Robert, innerer Unruhe und Unzufriedenheit lassen sie aufs Land fliehen. Sie findet mentalen und physischen Abstand, wird jedoch auch mit Herausforderungen konfrontiert, wie der extrem sporadischen Busverbindung in die nächste Kreisstadt und finanziellen Problemen. Zudem scheint Bracken jedes Klischee der ostdeutschen Provinz zu bedienen, wie Rechtsradikale mit kahlrasierten Köpfen, die Nazi-Lieder grölen, Alltagsrassismus par excellence, AfD-Wähler und platin-blond gefärbte Dorftussis. Doch je heimischer Dora wird, desto schwieriger wird es scharf zwischen Gut und Böse zu trennen. Die Menschen passen nicht in eindimensionale Raster basierend auf ihren politischen Ansichten, sei es der schwule AfD-Wähler, der hilfsbereite Nachbar R2-D2 und vor allem Gote, der von sich selbst als „Dorf-Nazi“ bezeichnete direkte Nachbar, der Dora hilft, den Alltag zu bewältigen und ihr Anker wird. Sowohl Dora als auch wir als Leser müssen uns von unserem Schubladendenken verabschieden und unsere Moralvorstellungen werden massiv herausgefordert. Letztlich stellt sich die Frage: Können Nazis trotzdem gute Menschen sein? Und gerade dieses Trotzdem macht den Reiz aus und regt zum kritischen Betrachten ein, denn wie kritisch zu sehen auch die politischen Ansichten sein mögen, so sind sie doch immer nur ein Teilaspekt der mannigfaltigen Charakterzüge und Gedanken eines Menschen. „Über Menschen“ ist ein unglaublich treffend gewählter Titel, denn in diesem kritischen, reflektierenden und bewegenden Gesellschaftsroman geht es vorrangig um menschliche Charaktere, ihre Vielschichtigkeit, ihre Ängste, Schwächen und Befangenheiten, aber auch um ihre Stärken. Juli Zeh zeichnet ihre Charaktere mit scharfem Blick, höchst präzise und authentisch vielschichtig. Klischees werden im Spannungsfeld Toleranz und Akzeptanz ausgelotet, Grenzen verschwimmen. Ich war von Juli Zehs Wortwitz, scharfsinniger Beobachtungsgabe und bildhafter Beschreibung begeistert, schon angefangen bei den Spitznamen, von „Jochen dem Rochen“ über „R2-D2“ oder dem Fahrrad „Gustav“. Bracken und seine Einwohner sind mir sehr plastisch vor meinem geistigen Auge erschienen! Sie lotet zudem die Gefühlswelt der deutschen Gesellschaft im Pandemiemodus sehr nuanciert und differenziert aus, in all ihren Extremen und trüben Zwischenausprägungen. Ich bin begeistert von diesem augenöffnenden, spannenden und facettenreichen Roman, der tiefgründige gesellschaftsrelevante Themen und aktuelle Fragen aufgreift! „Über Menschen“ war mein erster, aber sicherlich nicht mein letzter Roman von Juli Zeh! Eine große Leseempfehlung von mir!

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Dora muss raus aus Berlin. Der Corona-Alltag, eine scheiternde Beziehung und das Hamsterrad des Kapitalismus haben sie fest im Griff und nehmen ihr die Luft zum Atmen. Ein renovierungsbedürftiges Haus in Bracken, einem kleinen Dorf in Brandenburg, soll ihr den nötigen Fluchtpunkt bieten. Selbst Gemüse anbauen, abschalten und in die ländliche Idylle horchen – halt einen klischeehaften Traum einer gestressten Großstädterin leben. Doch so einfach ist das nicht mit dem Abschalten, denn in Bracken will sich nichts so richtig zuordnen lassen. Ein Nazi kann hilfsbereit sein? Ein Schwuler wählt die AfD? Die Grenzen zwischen Gut und Böse scheinen nicht so leicht zu ziehen zu sein wie Dora einst dachte. Lesenswert? Juli Zeh ist hier ein weiterer kritischer und bewegender Gesellschaftsroman gelungen. Kaum eine Autorin hat einen derart scharfen Blick auf ihr Umfeld und benennt Schwächen in vermeintlich politisch korrekten Einstellungen so präzise. In Über Menschen porträtiert sie die deutsche Gesellschaft im Krisenmodus, den scheinbar einige fanatische Gutmenschen sich sehnlichst herbeiersehnt haben. Insbesondere wird in diesem Roman deutlich, dass political correctness scheinbar ein Luxusgut ist. So ist es doch viel leichter, sich für Umweltschutz und Pandemiemaßnahmen und gegen Rassismus klar und deutlich auszusprechen, wenn man mit den Problemen, die diese Überzeugungen mit sich bringen, nicht konfrontiert wird. Natürlich sieht man nur die Vorteile in Biolebensmitteln und Leinenbeutel, wenn man selbst kein Landwirt ist, der daran fast bankrottgeht. Auch mit dem Fahrrad und den öffentlichen Verkehrsmitteln lässt es sich in einer Großstadt wunderbar vorankommen. Doch lebt man in Bracken, merkt man schnell, dass ohne eine taugliche Infrastruktur der Verzicht auf ein Auto undenkbar ist. Auch Corona-Maßnahmen sind absolut nachvollziehbar, wenn die eigene Existenz davon nicht abhängt. Der Roman lässt sich wunderbar lesen und ist an vielen Stellen augenöffnend. Man erwischt sich selbst doch immer wieder dabei, ein bisschen Robert in sich zu tragen, dann aber auch den Brackener Dorfbewohner. Und auf den letzten Seiten bleibt man orientierungslos zurück und stellt fest, dass Dorfnazis komischerweise auch gute Menschen sein können und dass das Gute und Böse häufig so dicht beieinander liegen kann.

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Wann ist es egal, welche politische Meinung ein Mensch hat? Darf ein kahlrasierter, hässlicher Nazi ein liebender Vater und Freund sein? Die Antworten muss der Leser am Ende des Romans selbst liefern. Allerdings zeigt die westdeutsche Dora, die Protagonistin des Romans "Über Menschen" von Juli Zeh, die Ebenen der Reflexion auf. Dabei fängt Zeh treffsicher die Lebenswirklichkeiten der Menschen auf der anderen Seite der Elbe ein: Manchmal plakativ in der Zeichnung der Charaktere, aber glaubwürdig im Zusammenspiel der Romanfiguren. Diese müssen sich in all ihren Widersprüchen gegenseitig aushalten, denn sie leben im Niemandsland miteinander, sind aufeinander angewiesen und verarbeiten ihre sozialistischen Vergangenheiten, fast familiär. "Die Neuen" werden dabei an ihren Taten gemessen, weniger an den Worten. In diesem Sinne wird die Regionalbahn zur Schleuse zwischen den Welten, denn social distancing und Worthülsen als Erfolgsgarant gehören wie selbstverständlich zum Hamsterrad eines Werbetexters und zum Frauenbild der neurotischen Großstädter, wenn man Dora glauben darf. Die abschließende Bewertung, die der Erzähler in der 3.Person fast entrückt vom Erzählgeschen trifft, empfinde ich als mutig und zeigt Doras eigene Widersprüchlichkeit nochmal auf, der sie sich im Verlauf des Romans durchgehend stellen muss, inklusive der eigenen belasteten Familiengeschichte, die letztlich in ihrer selbstgewählten Einsamkeit mündet. Der GUTMENSCH bleibt eben eine Fiktion der Ideologien von rechts und links. Dennoch gibt es in jedem Menschen das Gute so wie es eben auch das Böse, Hässliche gibt. Eine Erkenntnis, die man tatsächlich nur in der ostdeutschen Pampa, in Sibirien oder der Wüste findet. Nicht umsonst wird von Juli Zeh als Referenz Heidegger bemüht. Ich bin sehr begeistert von der Sprache, der präsentierten emotionalen Intelligenz des Hauptcharakters, dem innewohnenden Humor, der wiederholt die politischen Realitäten aufs Korn nimmt und habe dabei fast wie nebenbei meine eigene Heimat wiedererkannt, inklusive der Angst vor den Nazis, der Einsamkeit und den teilweise schrullig liebenswerten Menschen. Seit "Corpus Delicti" der beste Roman Juli Zehs, der den Menschen im Osten auf unnachahmliche Weise eine Stimme verleiht.

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Typisch Juli Zeh!

Von: Kristall86 aus An der Nordseeküste

08.07.2021

!ein Lesehighlight! Klappentext: „Dora ist mit ihrer kleinen Hündin aufs Land gezogen. Sie brauchte dringend einen Tapetenwechsel, mehr Freiheit, Raum zum Atmen. Aber ganz so idyllisch wie gedacht ist Bracken, das kleine Dorf im brandenburgischen Nirgendwo, nicht. In Doras Haus gibt es noch keine Möbel, der Garten gleicht einer Wildnis, und die Busverbindung in die Kreisstadt ist ein Witz. Vor allem aber verbirgt sich hinter der hohen Gartenmauer ein Nachbar, der mit kahlrasiertem Kopf und rechten Sprüchen sämtlichen Vorurteilen zu entsprechen scheint. Geflohen vor dem Lockdown in der Großstadt muss Dora sich fragen, was sie in dieser anarchischen Leere sucht: Abstand von Robert, ihrem Freund, der ihr in seinem verbissenen Klimaaktivismus immer fremder wird? Zuflucht wegen der inneren Unruhe, die sie nachts nicht mehr schlafen lässt? Antwort auf die Frage, wann die Welt eigentlich so durcheinandergeraten ist? Während Dora noch versucht, die eigenen Gedanken und Dämonen in Schach zu halten, geschehen in ihrer unmittelbaren Nähe Dinge, mit denen sie nicht rechnen konnte. Ihr zeigen sich Menschen, die in kein Raster passen, ihre Vorstellungen und ihr bisheriges Leben aufs Massivste herausfordern und sie etwas erfahren lassen, von dem sie niemals gedacht hätte, dass sie es sucht.“ Juli Zehs neuer Roman ist eine geniale Zusammenfassung der aktuellen Sichtweise auf die Schicht der Menschen, die in unserem Land, auf unserem Erdball leben. Wer so schreibt und die Menschen analysiert, hat eine enorme Auffassungsgabe! Ihre Wortwahl ist dabei wieder ein Garant für Gedanken zwischen den Zeilen. Zeh‘s Worten darf man niemals eine zu tiefe Bedeutung schenken bzw. sich in ihnen festbeißen, denn dann gerät man ins stocken, ins grübeln, und versteht alles falsch, was es falsch zu verstehen gibt. Hier sollte man auch grundsätzlich den eigenen Verstand ausschalten und nur Zehs !Wortbildern! Bedeutung schenken. Man muss hier zwingend zwischen Zeilen lesen! Juli Zeh geht dabei wieder analytisch vor, und nimmt hier Protagonistin Dora inklusive Hund und ihre Lebenssituation unter die Lupe. Ihre Ankunft im „neuen Heim“ ist so grotesk morbide, das es bildlich wird vor dem inneren Auge, das man genau riechen kann, wie die Landluft schnuppert….Nein, das ist kein Heimatroman sondern eine geballte Analyse. Doras Nachbar gehört definitiv zu einem ganz besonderen braunen Spektrum und anhand von bereits erschienen Rezensionen, hatte ich genau deren Reaktionen darauf hin erwartet. Es wird von vielen Lesern so empfunden, das Zeh hier einen Nationalsozialisten „schön“ redet - wer das denkt, kennt Zeh‘s Schreibstil nicht und wird dieses Buch verteufeln. Juli Zeh wollte das mit Sicherheit niemals, sie wollte nur eines, „Über Menschen“ schreiben, diese Seelen offen legen, egal welche Gesinnung sie haben, sie redet, schreibt einfach nur über Menschen und deren Charakter. Das was sie schreibt über diesen kahlrasierten Typen, ist keineswegs „puppig“ und „nett“, es ist eine reine Betrachtung. Diese Betrachtungen erleben wir durch Dora und tauchen extrem tief in eine Gedankenwelt ab. Juli Zeh wäre nie in der Lage eine Autobiografie über sich zu schreiben, dafür braucht sie immer Charaktere, denn genau so auch hier, wissen wir Leser nie genau, schreibt sie hier Doras Gedankenwelten auf oder ihre eigenen Erfahrungen? Ist alles Fiktion oder doch Realität? Dora wird zum Sinnbild für Sinnsuche in diesem Buch, das über Menschen spricht, wie sie hier leben, wie wir sind, aber dennoch spiegelt hier auch die Gesellschaft unseres Landes sich wieder. Ein extrem aktueller Roman, der grandios erzählt wurde, der Witz und Charme an der richtigen Stelle hat, der unheimlich nachhallt, der vor Spannung strotzt und der die Leser spaltet - genau das ist Juli Zeh! 5 von 5 Sterne!

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