Rezensionen zu
Zwischen Welten
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Zwanzig Jahre nach ihrer wilden Studentenzeit in Münster begegnen sich Theresa und Stefan zufällig wieder. Zwei Leben und damit auch zwei verschiedene Welten liegen zwischen ihnen. Theresa ist Landwirtin, hat den Betrieb ihres Vaters übernommen und kämpft verzweifelt und mit all ihrer Kraft um das Überleben ihres Hofes. Stefan dagegen ist Journallist bei einer der größten Zeitungen Deutschland in Hamburg. Seine Welt dreht sich um Sehen und gesehen werden. Was dort in den Büros und an den Schreibtischen der Redaktion erdacht wird, soll die Gesellschaft verändern. Mit Sprache soll Gerechtigkeit geschaffen werden, mit Beilagenheften die Menschen zum nachhaltigen Leben erzogen werden, während in der Mittagspause Zucchinicremesüppchen mit Champagnercremehäubchen gelöffelt wird. Theresa dagegen ringt dem Land alles ab, was der Gesellschaft Nahrung bietet. Doch statt Anerkennung und Hilfe zu erhalten, wird ihr von Gesetzen und Verordnungen das Leben schwer gemacht. Während der Pleitegeier über ihr kreist, muss sie sich ständig rechtfertigen. Jeder kämpft für sich in seiner Welt. Durch ihre gemeinsame Vergangenheit fühlen sie sich verbunden. Was damals harmlos am Küchentisch diskutiert wurde, artet heute in handfesten Streit aus. Der Roman ist in Form eines modernen Briefwechsels geschrieben. Wie Voyeure verfolgen wir den E-Mail -und Messenger-Austausch der beiden. Ihre gesellschaftskritische Konversation ist grandios. Der Roman bietet so viel Stoff zum Nachdenken und Diskutieren, dass ich mich immer wieder damit beschäftigen könnte. Trotz der Erzählform war es ein echter Pageturner, der mich nicht nur über die Absurditäten unserer Gesellschaft den Kopf, sondern auch über mich selbst, schütteln ließ. Eine absolute Leseempfehlung!
Beim Stichwort "Debattenkultur" denken wir zeitgleich an soziale Medien und schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, wenn so etwas in einem Roman abgebildet werden soll. Der Versuch allerdings ist mutig und letztendlich erweist sich das Medium "Briefroman" als passend. Briefe sind heute zwar WhatApps und Mails, aber das Grundprinzip bleibt. Die Geschwindigkeit ist deutlich höher und Theresa und Stefan müssen vor allem anderen erfahren, dass mit der Zuspitzung um der guten Sache willen das Zwischenmenschliche verlorengeht. Letztendlich ist das die wichtigste Botschaft des Romans. Ob das Gendersternchen wichtiger ist als die Existenz von Landwirten, ob Alltagsrassismus wichtiger ist als das Vermächtnis der eigenen Familie - zu diesen Thesen machen die Autoren keine finalen Aussagen, höchstens Andeutungen. Man kann aber nicht umhin, in Theresa die heimliche Sympathieträgerin zu sehen, deren Handlungen im Vergleich zu Stephans Rechthaberei vom elitären Kulturposten aus noch am nachvollziehbarsten sind. Am Ende sind es aber eben die Freundschaften und zum Teil auch Familien, die an solcher Rechthaberei und hochkochenden Emotionen kaputt gehen. Politische Einstellungen sind längst Ersatzreligionen geworden, deren Anhänger sich lieber verdammen als auszuhalten, dass andere Perspektiven ein Existenzrecht haben. Obwohl Theresa und Stephan grundsätzlich gute Voraussetzungen für den konstruktiven Diskurs haben, können sie sich dieser Dynamik kaum entziehen. Doch sie sind auch Opfer der Dinge, die sie heraufbeschwören. In dieser Hinsicht wird das Buch ab der Mitte auch ein wenig zur beißenden Mediensatire, wenn Stephan für seine woken Kollegen einfach nicht mehr woke genug ist und kurzerhand abgesägt wird und auch zum Thriller, wenn Theresa mit der Hilfe einer dubiosen Untergrundorganisation mehr Gerechtigkeit für Landwirte erkämpfen will. Wichtige Bücher über brandaktuelle Themen gibt es viele, doch die wenigsten liest man gern. Verständlichkeit, Nachvollziehbarkeit, Abwägung, beide Seiten wenigstens zu Wort kommen lassen, auch wenn man seine Meinung vehement verteidigt - all das scheint angesichts des eigenen Missionierungseifers passé. Hier liegt nicht nur ein Debattenroman vor, den gern liest, nein, er nimmt sich trotz durchaus erkennbarer Sympathien die Zeit, sich mit seinen nicht zu unterschätzenden Themen eigehend zu befassen und sie an der Realität zu prüfen. Das kann man nicht hoch genug einschätzen.
Der Roman „Zwischen Welten“ von Juli Zeh und Simon Urban stand über 30 Wochen in der Spiegel-Bestsellerliste (Stand: 08/23) und wurde mir noch dazu zur Lektüre empfohlen. Grund genug, mir das Werk einmal genauer anzuschauen. Und so viel vorweg: Es ist ein interessantes Beziehungsverhältnis zwischen den Protagonisten Stefan und Theresa, das die beiden Autoren entworfen haben. Ein Verhältnis, bei dem beide Charaktere in schwierigen Lebensphasen stecken und sich gegenseitig offenherzig und schonungslos die Meinung über die Lebenswelt des jeweils anderen mitteilen (in diesem Zusammenhang wird auch viel über gesellschaftspolitische Themen gestritten). Stefan und Theresa sind dabei auch hart im Umgang miteinander, echte Freunde eben, die sich schon seit ihrer gemeinsamen WG-Zeit aus Studienzeiten kennen. Sie schenken sich nichts, es geht hoch her, die Emotionen kochen des Öfteren hoch, die Nerven liegen blank. Und die Schilderung der Entwicklung ihrer Beziehung zueinander ist das, was den Roman in meinen Augen ausmacht. Ein tolles Buch, das ich nicht aus der Hand legen konnte und das in der geschickt gestalteten Figurenrede sicherlich auch den aktuellen Zeitgeist oft treffend wiedergibt. Nachdem Stefan und Theresa längere Zeit nichts voneinander gehört haben, treten sie wieder in schriftlichen Kontakt. Sie kennen sich noch aus dem Studium, doch ihre Lebensläufe haben völlig unterschiedliche Richtungen genommen. In regelmäßigen E-Mails und Whats-App-Nachrichten gewähren beide dem jeweils anderen einen Einblick in ihre aktuelle Lebenssituation. Stefan (ledig, Single, keine Kinder) ist Kulturchef bei einer Zeitung namens „BOTE“ und berichtet seiner ehemaligen Kommilitonin von den Streitigkeiten bei Redaktionssitzungen. Theresa (verheiratet, zwei Kinder) gehört ein Bauernhof, den sie nach dem Tod ihres Vaters übernommen hat. Sie hat ihr Germanistik-Studium aus diesem Grund abgebrochen. Die Lebenswelten beider Figuren könnten unterschiedlicher nicht sein. Und die Urteile übereinander fallen harsch aus. Vor allem die Whats-App-Nachrichten haben oft einen konfrontativ-aggressiven Grundton. Für Theresa ist Stefan ein Großstadt-Intellektueller, der keine Ahnung vom wahren Leben hat und in einem Elfenbeinturm existiert. Des Öfteren bemüht sie sich darum, ihn auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen und berichtet von ihrem harten Alltag als Landwirtin. Stefan beschreibt Theresa seinerseits am Beispiel der Arbeit im Redaktionsteam die aufgeheizte Atmosphäre bei seinem Arbeitgeber. Doch Theresa nimmt Stefan und seine Probleme nicht richtig ernst. Sie amüsiert sich über sein Theoretisieren. Sie ist eine Frau der Praxis, steht mit beiden Beinen im Leben und hat täglich praxisnahe Alltagsprobleme zu lösen, die der Beruf eines Landwirts mit sich bringt. Ihre Lebenswelt ist nicht so „verkopft“ wie die von Stefan. Sie packt an, sie leistet und findet kaum Zeit, sich hochtrabende Gedanken zu machen. Sie ist eine Kämpferin. Trotz finanzieller Schwierigkeiten und am Rande der Existenz gibt sie nicht auf und hält den Betrieb am Laufen. Wenn Mitarbeiter gesundheitlich ausfallen, fängt sie deren Arbeit zusätzlich mit auf. Sie setzt sich unermüdlich für Verbesserungen ein und fühlt sich von der Politik allein gelassen. Im Laufe des E-Mails Kontakts kommen sich Stefan und Theresa mal näher, mal distanzieren sie sich wieder voneinander. Zwischenzeitlich blitzen auch immer einmal wieder Gefühle auf, die Stefan für Theresa hat. Stefan hadert mit der gemeinsamen Vergangenheit. Er versteht z.B. nicht, warum seine ehemalige WG-Mitbewohnerin wortlos verschwunden ist, um den Hof zu übernehmen, und ihn nicht um Hilfe gebeten hat. Und was auch immer wieder während des Schriftverkehrs deutlich wird: Beide streiten über gesellschaftspolitisch relevante Themen und äußern dabei unterschiedliche Ansichten. So diskutieren sie z.B. über das Gendern. Und oft debattieren Theresa und Stefan leidenschaftlich, so dass die Fetzen fliegen. Theresa erscheint dabei häufig als die Pragmatikerin, Stefan hingegen ist der Analytiker. Sie – bodenständig in der Praxis. Er – intellektuell am Schreibtisch. Theresas Vorwurf: Stefan lebe in einer Blase, die mit der Realität wenig zu tun habe. Er kümmere sich zu sehr um die Lösung von Problemen auf Meta-Ebene und zu wenig um konkret greifbare Schwierigkeiten. Weitere Themen, die sie äußerst emotional erörtern: Klimaschutz, Ukraine-Krieg, struktureller Rassismus (das Verständnis für die Relevanz dieses Themas hält sich bei Theresa in Grenzen), kulturelle Aneignung, Ost-West-Problematik etc. Auf mich wirkte Theresa kompetent, wenn sie sich äußert. Die Abläufe des landwirtschaftlichen Betriebs werden sehr detailliert und kenntnisreich von ihr dargelegt. Sie hadert viel mit den politischen Zuständen und hat viele konkrete Ideen, wie sich die Situation der Landwirtschaft im Land verbessern ließe. Stefan seinerseits gewährt Einblicke in den journalistischen Alltag. So schildert er z.B. den Entstehungsprozess einer Sonderausgabe zum Thema „Klimaschutz“, bei der auch das Know-how von Aktivisten eingebunden werden soll, die sich dreist und anmaßend verhalten. Ein weiteres Thema, das zum Ausdruck kommt: Das Beziehungsleben beider Figuren. Dabei wird deutlich, dass Stefan wenig Ahnung von Familienleben hat. Theresa ihrerseits schildert, wie sie sich zunehmend von ihrem Mann Basti entfremdet, weil die Arbeit zu viel Raum einnimmt. Sie schafft es nicht einmal, in den Urlaub zu fahren, ohne ein schlechtes Gewissen ihrem Betrieb gegenüber zu haben. Die Entwicklung des Privatlebens beider Figuren ist so angelegt, dass Krise auf Krise folgt. Wenn man denkt, es geht nicht schlimmer, ereignet sich bereits das nächste Dilemma. So muss sich Stefans Chef z.B. nach einer unbedachten Äußerung gegen einen „shit-storm“ wehren. Hier wird die Schattenseite der sozialen Medien gut und treffend in den Blick genommen, wie ich finde. Es zeigt sich, wie der Chefredakteur durch eine Hetzkampagne zu Fall gebracht wird und wie seine ganze Familie darunter leidet. In diesem Zusammenhang werden im Roman auch interessante Fragen aufgegriffen, die die journalistische Arbeit betreffen: Wie sehr darf und muss man sich als Journalist:in positionieren? Wie viel Haltung ist beim Schreiben nötig? Wie sehr überlässt der Journalist bzw. die Journalistin die Meinungsbildung noch den Leser:innen? Oder sind Journalist:innen selbst Meinungsmacher und geben Meinungen vor, die man als Leser:in einzunehmen hat? Wie neutral muss Berichterstattung sein? Und kann sie überhaupt neutral sein? Und auch die Rolle von Aktivist:innen mit vielen Followern wird problematisiert. Wie kann es z.B. sein, dass Influencer mehr Gehör finden und Aufregung stiften als gestandene Journalist:innen? Im weiteren Handlungsverlauf nimmt die Politikverdrossenheit von Theresa immer mehr zu. Sie nimmt zunehmend radikalere Positionen ein, was ihre Verzweiflung deutlich werden lässt. Sie fühlt sich von der Politik im Stich gelassen, beklagt bürokratischen Irrsinn, fühlt sich machtlos, ohnmächtig. Sie wird immer mehr zu einer Wutbürgerin. In meinen Augen wird sehr deutlich, dass Theresa ganz klar bei sich ist. Sie weiß, wer sie ist, was sie will. Sie muss sich nicht finden. Sie hat ein ganz klares Ziel vor Augen, das sie zu erreichen versucht (wirtschaftlich überleben). Sie weiß nur nicht, wie sie das schafft. Stefan hingegen ist wankelmütig. Er ist in einer Art Selbstfindungsphase und muss für sich noch herausfinden, wie er seine journalistische Arbeit in Zukunft ausrichtet. Was beide Figuren eint: Sie machen eine schwierige Lebensphase durch. Das geteilte Leid schweißt sie zusammen. Doch es gibt auch klare Unterschiede: Theresas Abwärtsspirale hält an und lässt sich nicht aufhalten, die Katastrophen nehmen kein Ende. Es geht permanent bergab. Stefans Krisen hingegen sind nie von Dauer, er muss „nur“ Unruhephasen überstehen, sein beruflicher Erfolg ist (langfristig betrachtet) nie in Gefahr. Stefan ist auch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, er geht nach meinem Dafürhalten nicht angemessen auf die Sorgen von Theresa ein. Letztlich geht es ihm doch nur um seine Karriere. In Krisenmomenten ist er zwar nah bei Theresa, doch in erfolgreichen Momenten ist er weit von ihr weg. Am Ende des Buchs könnte die Distanz zwischen beiden Figuren nicht größer sein. Das einzige, was mich während der Lektüre des Buchs gewundert hat: Woher nehmen beide Figuren die Kraft, sich solch langen E-Mails zu schreiben, wenn sie doch so wenig Zeit haben, ihren Alltag zu managen? Woher nehmen sie die Energie, so leidenschaftlich zu streiten und sich gegenseitig zu verletzen? Ein wenig hat mich das Buch an „Gut gegen Nordwind“ von Daniel Glattauer erinnert, nur dass hier nicht die Liebes-Thematik im Vordergrund steht, sondern die politische Thematik.
Das ungewöhnliche Formal des digitalen Austausches zwischen Tessa und Stefan zeigt die tiefe Kluft zwischen intellektueller westdeutscher Stadtbevölkerung und den Alltagstehmen und -sorgen der brandenburger Bauernschaft auf und versucht auf der urmenschlichen Bedürfnisebene nach Liebe und Anerkennung Brücken dazwischen zu schlagen. Ein fantastisches Werk, das ohne zu urteilen beide Welten im Kern erkennt und seine Spannung darin findet, immer wieder mit der Hoffnung auf verbindende und versöhnliche Begegnung zu spielen. Wer beide Welten kennt weiß, hier wurde gut recherchiert und den Szenen aufs Maul geschaut. Ein hochaktuelles und politisches Werk, das ich nicht mehr zur Seite legen konnte.
Liebe Theresa, lieber Stefan, schon bald, nachdem ich mit dem Lesen eurer Korrespondenz begonnen hatte, regte sich in mir das Bedürfnis, mich in euren Austausch einzumischen. Ich meinte vermitteln zu können bzw. zu müssen. Ich sah die Barrikaden auf beiden Seiten und das Ringen darum, sich dem anderen verständlich zu machen. Wahrscheinlich wäre ich genauso gescheitert wir ihr. Stefan ist Journalist und leitet das Kulturressort einer großen deutschen Wochenzeitschrift mit Sitz in Hamburg. Theresa hat den Hof ihres Vaters übernommen, auf biologische Landwirtschaft umgestellt und kämpft seither zwischen Melkstand, Traktor und Bürokratieumdas wirtschaftliche Überleben. Die beiden kennen sich vom Studium, hatten sich lange aus den Augen verloren und zufällig in Hamburg wieder getroffen.Sie vereinbaren einen Neuanfang. Der daraus entstehende Austausch per WhatsApp und Mail wird schnell zu einem Streitgespräch über unterschiedliche Vorstellungen und Positionen. Theresa fühlt sich von den Gendersternchen in Stefans Texten provoziert, für ihn hingegen sind Theresas Kühe vor allem Klimakiller. Beide agieren authentisch und ihre Beweggründe sind nachvollziehbar.Im Prinzip wollen sie das Gleiche: Eine gerechte Gesellschaft in einer funktionierenden Demokratie und eine intakte Umwelt.Doch mangelnde Breitschaft, die Welt mit den Augen des anderen zu sehen, führt schnell zu Unterstellungen und Vorwürfen. Ich habe immer den Eindruck, dass sie einander nicht zuhören und aneinander vorbeischreiben.Sie präsentieren Fakten, aber eigentlich geht es um Befindlichkeiten.Ich fand es ermutigend, dass sie trotzdem nicht hingeworfen und nach gemeinsamen Schnittmengen gesucht haben. Das Themenspektrum ist breit gefächert. Stefan berichtet von den Abläufen in der Redaktion, er erzählt von einem Projekt, welches ihm am Herzen liegt und von dessen Umsetzung. Theresa beschreibt ihren Arbeitsalltag zwischen Familie und Hof und wie sich die anhaltende Dürreperioden auf Ertrag und Arbeitsbelastung auswirkt. Die Mails handeln vonder Misere der Landwirtschaft zwischen Grundversorgung und Klimaschädlichkeit, vonGeschlechtergerechtigkeit, es geht auch um deutsche und europäische Politik und die Rolle von Subventionen, um bürokratische Hürden, um die Aufgaben der Journalisten zwischen Information und Kommentar. Das alles durchdringende Thema jedoch sind die vielfältigen Formen von Kommunikation. Stefan und Theresa kommunizieren vorrangig per Mail und per WhatsApp, dabei fällt schnell auf, dass die zeitnahen Reaktionen über den Messenger deutlich schärfer verlaufen und nicht selten schon nach kurzem Hin und Her beleidigend werden. Beim Schreiben der Mails argumentieren beide im Wesentlichen sachlich. Der unüberlegte und teilweise übergriffige Schlagabtausch per WhatsApp erscheint dabei wie eine Vorahnung des Strudels, in den beide am Ende geraten. Die Form des Briefromans ermöglicht dem Autorenpaar Juli Zeh und Simon Urban den glaubhaften Perspektivwechsel zwischen dem in seiner urbanen Blase gefangenen Stefan und der im täglichen Arbeitspensum eingespannten Theresa. Gleichzeitiggelingt es dabei, die Mechanismen innerhalb der sozialen Medien abzubilden. Sie zeigen die zerstörerische Kraft, die den Diskursen via Twitter oder Facebook innewohnt, wo es nur noch selten um Inhalte geht, aber immer um Lautstärke und Reichweite und das Besetzen von Schlagworten. Während es Stefan und Theresa immer wieder schaffen, ihre Debatte auf eine sachliche Ebene zurückzuführen, müssen sie erleben, wie schon ein einzelner unüberlegter Satz oder eine spontane Aktion einen Shitstorm auslösen und eine Existenz vernichten können. Beide müssen erkennen, wie wenig wirkmächtig sie sind. Es stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch möglich ist, eine zielführende und lösungsorientierte Debatte zu führen bzw. wie sie wieder gelingen kann. Doch der Schwarm, den Rotzlöffel*innen wie Leonie aktivieren – sie ist im übrigen für mich die einzige unglaubwürdige Figur im Buch, weil in ihrer Darstellung der Begriff „Aktivist“ zum Schimpfwort verkommt – dieser Schwarm besteht aus vielen Einzelnen, aus uns, und wir tragen Verantwortung. Das sollte uns bewusst sein, bevor wir zynische Sprüche in die Tastatur hämmern und in die Welt schicken. Echte Demokratie braucht schließlich die Vielfalt der Meinungen, um einen guten Weg für alle zu finden.
Kaum lege ich mal ein Buch zurück, meistens beiße ich mich bis zum Schluss durch. Das war mir allerdings bei diesem Buch nicht möglich. Quergelesen und festgestellt, dass sich nichts ändert, habe ich es weggelegt. Gendern, Klimakrise usw. sollte man in einem Roman nicht verarbeiten, mit diesen Themen wird man täglich bei den Nachrichten schon genug "runtergezogen". Beim Lesen eines Romans sollte man sich mal in eine andere Welt flüchten dürfen.
Das Buch ist in drei Teile gegliedert und in Email Form abgedruckt. Tatsächlich hatte ich damit zu Beginn meine Schwierigkeiten, aber nach den ersten 50 Seiten, hatte ich mich daran gewöhnt. Durch die sehr aktuellen und polarisierenden Themen konnte ich immer nur einige Seiten lesen. Die Emails beschreiben teilweise den Alltag und verlieren sich dann in hitzigen Diskussionen zu diversen Themen. Einige Beispiele sind dann das Gendern, White Privileges, Fridays for Future, und vielen mehr. Ich brauchte die Zeit um mir selbst über das gelesene und die Meinungen der Charaktere weiter meine Gedanken zu machen. Dabei habe ich auch einige Themen (z.b. intersektionaler Feminismus) nachschlagen müssen. Somit hat sich der Leseflow bei mir leider nicht eingestellt und das Buch hat sich damit etwas gezogen. Tatsächlich habe ich mehrfach überlegt das Buch abzubrechen, da ich ja „Spaß“ beim Lesen haben möchte. ABER ich habe es zu Ende gelesen und darüber bin ich wirklich froh. Viele Themen sind mir natürlich schon vor dem Lesen ein Begriff gewesen, doch nun habe ich mich damit noch weiter auseinander gesetzt. Wer Lust auf ein Buch hat, dass versucht das aktuelle Gesellschaftsbild zu beschreiben, dann wird er hier fündig.
Wenn ich an Briefromane denke, fallen mir zunächst „Gut gegen Nordwind“ von Daniel Glattauer und „84, Charing Cross Road“ von Helene Hanff ein. Juli Zeh und Simon Urban haben sich dieses Genre angenommen und mit „Zwischen Welten“ den Briefroman in die moderne Welt übertragen. Ein Hamburger Journalist und eine Brandenburger Milch Bäuerin, die vor gemeinsam studiert und in einer WG gelebt haben treffen sich nach 20 Jahren wieder. Es prallen zwei Gegensätze aufeinander, Stand und Land und damit zwei Lebensrealitäten. Die Themen, die sie per Mail oder per Messenger diskutieren könnten aktueller nicht sein: es geht um Bio-Subventionen, Gendersternchen, und den Ukrainekrieg. Aber auch um ihren Alltag und Familien. Wir kennen sie alle, politischer Debatten. Und wir kennen es auch, wenn diese eskalieren. Der Roman veranschaulicht, wie wir debattieren können, ohne gleich in Hasstiraden zu verfallen. Aber gleichzeitig bekommen wir mit, wie unterschiedlich Probleme sind, und wie weit aktuell Es war teilweise sehr intensiv und anstrengend, und es zeigt keine Lösung der Probleme auf. Neben dem Lesespaß hab ich für mich mitgenommen, dass wir alle trotz unterschiedlicher Lebensrealitäten die Sorgen und Probleme unserer Mitmenschen ernst nehmen sollten, auch wenn wir sie nicht lösen können. Mitgefühl und Zusammenhalt kann schon sehr viel bewirken, gerade in unserer aktuellen Zeit. „Unterleuten“ ist für mich dennoch weiterhin mein liebstes Werk von Juli Zeh und ich freue mich darauf, weitere Werke von ihr und vielleicht auch weitere Gemeinschaftsprojekte mit anderen Autor*innen zu lesen.
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